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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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bestens vertraut. Alle drei gehörten dem Berliner Großbürgertum an. Sabine Lepsius, Tochter des Kunstmalers Fritz Graef, war mit Reinhold, einem der vier Söhne des Begründers der deutschen Ägyptologie Karl Richard Lepsius, verheiratet und führte in der Kantstraße, später in Westend, einen berühmten Salon. Der Literarhistoriker Richard M. Meyer, Sohn eines vermögenden Bankiers, blieb aufgrund seiner jüdischen Herkunft ewiger Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität und lud donnerstags zum Jour fixe. Der dritte, Georg Simmel, der aus der Schokoladenfamilie »Felix & Sarotti« stammte und durch Erbschaft seines Nennonkels, des Musikverlegers Julius Friedländer, seit 1890 finanziell unabhängig war, erhielt wegen antisemitischer Universitätsintrigen ebenfalls keine Professur. »Für alle geistigen Feinschmecker« galt er jedoch als »die wichtigste Sehenswürdigkeit des Berlin um 1900«. 44
    »Man lebte vor dem Hintergrund eines großen materiellen Wohlstandes. Man besaß außer dem Berufseinkommen den Rückhalt eines Kapitals, von dem die meisten nur die Zinsen verbrauchten«, schrieb Sabine Lepsius rückblickend. 45 In diesen Kreisen schlug der Sohn des Weinkommissionärs aus Bingen im Herbst 1897 ein wie ein Meteor. Addiert man, was alles George in den vergangenen acht Jahren unternommen hatte, um seine Anerkennung zu erzwingen, so lässt sich festhalten, dass er auch nicht im Entferntesten eine Vorstellung davon besaß, an welche Art Publikum er sich richtete. Eine eindeutige Strategie jedenfalls war in seinen diversen Aktivitäten ebenso wenig erkennbar wie in den programmatischen Erklärungen der Blätter , die mehr der Selbstvergewisserung dienten als der Positionierung am Markt. Die Verlautbarungen richteten sich an eine imaginäre Leserschaft, deren Unbildung George mit anhaltender Erfolglosigkeit immer bitterer beklagte. »Bevor in einem land eine grosse kunst zum blühen kommt muss durch mehrere geschlechter hindurch der geschmack gebildet worden sein.« 46 Je deutlicher er sich vom Markt distanzierte, desto überzeugender freilich konnte George seinen Anspruch
auf Exklusivität glaubhaft machen. Und alles Esoterische – das wusste er seit den Tagen von Paris – war für das Bildungsbürgertum höchst attraktiv. Entsprach die große Verweigerungsgeste am Ende also doch raffiniertem Kalkül?
    Bevor man Georges Publikationsstrategien, den vermeintlichen und den tatsächlichen, eine Bedeutung beimisst, die den Erfolg in erster Linie auf diese Bemühungen zurückführt – eine Methode, die, was sie beweisen will, als gesichert voraussetzt -, sollte man zunächst fragen, um welches Publikum es sich denn eigentlich handelte, das 1897/98 mit einem Schlag auf ihn aufmerksam wurde. Thomas Nipperdey hat in einem großen Essay Ende der achtziger Jahre den Versuch unternommen, die Entstehung der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem bürgerlichen Kunstverständnis des 19. abzuleiten. Unter dem Titel Wie das Bürgertum die Moderne fand untersuchte er die historischen Bedingungen, unter denen sich das anspruchsvolle Publikum um 1900 für die neue Kunst zu interessieren begann. Den im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker hervortretenden Antagonismus zwischen dem Künstler und seinem bürgerlichen Publikum führte Nipperdey darauf zurück, dass sich das Bürgertum und die Künste im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts etwa gleichzeitig aus den feudalen, mäzenatischen Strukturen zu emanzipieren begonnen hatten.
    Die Autonomie der Kunst und ihre Verbürgerlichung geschehen gleichzeitig … So paradox es klingt: bürgerliche Kunst ist autonome Kunst, autonome Kunst ist bürgerliche Kunst; Kunst wird »demokratischer«, und Kunst wird zugleich esoterischer. Aus dieser ursprünglichen spannungsvollen Zusammengehörigkeit aber entwickelt sich der entschiedene Gegensatz zwischen Kunst und Bürgerlichkeit, entwickelt sich das Un- und Antibürgerliche der Kunst. Das Verständnis von Kunst und die Erwartung an Kunst bei den Bürgern und bei den Künstlern treten weit auseinander. Zuerst fällt eine Trivialisierung der Kunst bei den Bürgern ins Auge, dann aber auch und nicht minder auffallend eine Tendenz zum Esoterischen in den Künsten. 47
    Vor diesem Hintergrund artikulierte sich noch vor der Jahrhundertwende der Wunsch des Bürgertums nach einer »Versöhnung« mit der Kunst. Diesem Identifikationsbedürfnis trugen Georges Selbstdarstellungen
in hohem Maße Rechnung. Zweifellos handelte es

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