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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Frührenaissance von Giotto bis Fra Angelico,
die flämischen Primitiven (nicht alle), die rheinischen Meister um Stefan Lochner oder die Porträts des jüngeren Holbein, den er zum »gipfel der ganzen deutschen kunst« erklärte. 25 Die Urteile über die Malerei von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert schwankten zum Teil beträchtlich; aufgrund gelegentlicher Bemerkungen zu einzelnen Malern oder Gemälden einen Georgeschen Bilderatlas zu erstellen, wäre schwierig. Am radikalsten war George in seiner Ablehnung der Zeitgenossen. Naturalismus, Impressionismus und Expressionismus empfand er gleichermaßen als Zumutung. Bereits 1897 schimpfte er auf die »kecken farbenkleckser«, und noch dreißig Jahre später erregte er sich über Bilder, auf denen er »nicht einmal das Geschlecht habe unterscheiden können«. 26 Gespräche über moderne Kunst, besonders über van Gogh, »versetzten ihn in Wut und Aufregung«. 27 Mit der Malerei der Moderne sei er erstmals in Paris konfrontiert worden, wo man schon in den neunziger Jahren »das Gesudel der Kandinsky und Kokoschka« habe bewundern können. 28 Schon damals sei ihm klar gewesen, dass dieser Weg nicht weiterführe. Mit dem Hinweis auf die angebliche Antiquiertheit der Avantgarde war das Thema vom Tisch. Besuchte er Freunde, die sich für moderne Kunst begeisterten, bat er, die Scheußlichkeiten vorher abzuhängen. 29
    Solche Einseitigkeit war nicht einmal für enge Freunde nachvollziehbar. »Nicht sehr überzeugt von seinem Urteil über Kunstdinge; kein Primäres«, notierte Ernst Glöckner. 30 Nicht zuletzt an Lechter schieden sich die Geister. Er könne gut begreifen, schrieb der junge Gundolf 1900 nach Durchsicht eines umfassenden Lechter-Artikels von Georg Fuchs in Deutsche Kunst und Dekoration , »dass auch vernünftige und geschmackvolle Leute diese Kunst ablehnen«. 31 George ließ nichts auf ihn kommen und entzog jeder Kritik an ihm von vornherein den Boden. Als ein kompromissloser Künstler, der stolz an seinen Überzeugungen festgehalten und dafür viel Hohn und Spott in Kauf genommen habe, sei Lechter für ihn eine Stütze gewesen. »Wir waren damals beide sehr aufeinander angewiesen, er und ich.« 32 »Bruder im stolz!« nennt ihn George 1897 im Jahr der Seele – »bruder im leid!« Und zehn Jahre später, am Ende ihrer gemeinsamen Wegstrecke,
rühmt er ihn im Widmungsgedicht des Siebenten Rings: »Turm von bleibendem strahl in der flutnacht der zeit!« 33
    Trotz vieler Erfolge, die mit der Präsentation eines für das Kölner Kunstgewerbemuseum gestalteten Fest- und Musiksaales auf der Pariser Weltausstellung 1900 ihren Höhepunkt erreichten, schaffte es Melchior Lechter nie in die erste Reihe. Sein Werk offenbarte »die typischen Schwächen eines Autodidakten, der mit Ungestüm auf eine ihm von der gesellschaftlichen Herkunft eigentlich verschlossene bürgerliche Bildungswelt losgestürzt war«. 34 Ein anschauliches Beispiel für den eklektizistischen Schwulst seiner Konzeption lieferte Lechter selbst mit der Beschreibung des Gemäldes »Die Weihe am mystischen Quell«, dem Hauptwerk des Kölner Pallenberg-Saales, dessen zentrale Gestalt unverkennbar die Züge Georges trug:
    Vor einem Tempel, kostbar mit Goldplatten und edlen Steinen bedeckt, kniet, die Hände über die Brust gekreuzt, die Augen geschlossen, erhobenen Hauptes der Künstler. Die Priesterin des mystischen Quells reicht ihm in kristallener Schale einen Trunk aus der geweihten Quelle: der den heiligen Rausch erzeugt, aus dem die ewigen Werke der Kunst geboren werden. Der Tempel liegt auf einer mit Hyacinthen bestandenen Höhe … Auf grossen, goldenen Kandelabern knistern hohe Kerzen zwischen schlanken Bäumchen. 35
    Er gebe zu, dass es schwer sei, Lechter ausschließlich nach seinen Arbeiten zu beurteilen, räumte George 1898 einem befreundeten Maler gegenüber ein. Wer ihn jedoch kenne, wisse, dass man bei ihm »nur einzutreten braucht um einen grossen künstlerischen schauer zu empfangen«. 36 Ende 1894 hatte sich Lechter im zweiten Hinterhaus der Kleiststraße 3, fünfter Stock, eine Dreizimmerwohnung zu einem Gesamtkunstwerk hergerichtet. Die geschnitzten Möbel, die Teppiche, die Tapeten und Stoffe, die Holzdecken, die Glasfenster mit Tristan-Motiven: Alles war nach seinen Entwürfen angefertigt worden, selbst die Bettwäsche war mit George-Versen bestickt. 37 Das Ensemble bot eine Oase der Ruhe und Einkehr im Berliner Trubel zwischen Nollendorf- und Wittenbergplatz. Lechter empfing

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