Stefan Zweig - Gesammelte Werke
ihn ja zum wahrhaften und urtümlichen Spieler, daß er nicht spielt, um zu gewinnen (wie langweilig wäre das), sondern um zu spielen. Niemals sucht er die endgültige Entspannung, sondern dauerndes Gespanntsein, das ewige Abenteuer in der Abbreviatur von Schwarz und Rot, Karo und As, das zuckende Auf und Ab, in dem er erst seine Nerven spürt und seine Leidenschaft als strömend empfindet – wie Systole und Diastole, wie Aus- und Einatmen des feurigen Weltstoffs braucht er diese funkelnde Gegensätzlichkeit von Gewinst und Verlust am Spieltisch, das Erobern und Wegwerfen der Frauen, den Kontrast von Armsein und Reichsein, das ins Unendliche verlängerte Abenteuer. Und da selbst ein so kinohaft buntes Leben noch Intervalle hat an Plötzlichkeiten, Überraschungen und Wetterstürzen, füllt er diese leeren Pausen mit der künstlichen Spannung des Kartenfatums, und erst dank seinen tollwütigen Hasardwürfen erreicht er die plötzlichen Kurven von oben nach unten, diese schmetternden Niederstürze ins Nichts: heute noch die Taschen voll Gold, Grandseigneur, zwei Diener hinter der Karosse, und morgen die Diamanten rasch einem Juden verkauft und die Hosen – kein Scherz dies, man hat die Quittung gefunden! – im Leihhaus in Zürich versetzt. Aber genau so und nicht anders will ja dieser Erzabenteurer sein Leben – weit auseinandergefetzt von diesen plötzlichen Explosionen des Glücks und der Verzweiflung: um ihretwillen wirft er immer wieder sein ganzes vehementes Wesen als letzten und einzigen Einsatz dem Schicksal hin. Zehnmal steht er im Duell einen Zoll breit vor dem Tod, dutzendmal vor dem Zuchthaus oder der Galeere, Millionen strömen ihm zu und wieder fort, und er biegt nicht einmal die Hand, einen Tropfen zu halten. Aber gerade weil er immer sich hingibt und immer ganz an jedes Spiel, jede Frau, jeden Augenblick, jedes Abenteuer, gerade darum gewinnt, der als erbärmlicher Bettler in fremdem Ausgedinge stirbt, schließlich das Höchste: unendliche Fülle des Lebens.
Homo eroticus
Verführt ich jemals? Nein, ich war zur Stelle.
Wenn just mit holder Zauberei Natur
Ihr Werk begonnen, auch verließ ich keine,
Denn ewig jeder dankbar blieb mein Herz.
Arthur Schnitzler, Casanova in Spa
E r dilettiert recht und meist schlecht in allen Künsten, schreibt stolperige Verse und narkotische Philosopheme, er kratzt mittelmäßig die Geige und konversiert bestenfalls wie ein Enzyklopädist. Trefflicher schon versteht er jene Spiele, die der Teufel erfunden und so da sind: Pharao, Karten, Biribi, Würfel, Domino, Bauernfängerei, Alchimie und Diplomatie. Aber als Magier und Meister exzelliert Casanova einzig im Liebesspiel. Hier binden sich in schöpferischer Chemie seine hundert verpfuschten und stückhaften Talente zum reinen Element des vollkommenen Erotikers, hier und nur hier hat dieser zweideutige Dilettant unwidersprechlich Genie. Sein Körper schon scheint sichtlich dem Dienst der Cythere zugeschaffen. Ausnahmsweise verschwenderisch, mit voller Faust hat die sonst sparsame Natur in den Tiegel gegriffen, um alles an Saft, Sinnlichkeit, Kraft und Schönheit zusammenzuraffen, damit den Frauen zur Freude wieder einmal ein rechter Mann entstehe, eine mâle, ein Mannskerl oder Männchen, ganz wie man’s übersetzen will, ein vollwichtiges und doch federndes, ein hartes und doch heißes Exemplar dieses guten Geschlechts. Denn man geht fehl, Casanova, den Eroberer, physisch nach unserem schlankschmalen, modischen Schönheitstypus zu denken: dieser bei uomo ist kein Ephebe, durchaus nicht, sondern ein rechter Mannshengst mit Schultern des Farnesischen Herkules, Muskeln eines römischen Ringers, der braunen Schönheit eines Zigeunerburschen, der Stoßkraft und Frechheit eines Kondottiere und der Brünstigkeit eines wirrhaarigen Waldgottes. Metall sein Körper, strotzend von Überschuß und Kraft: viermalige Syphilis, zwei Vergiftungen, ein Dutzend Degenstiche, die grau-gräßlichen Jahre unter den Bleidächern und in stinkenden spanischen Kerkern, die plötzlichen Reisen von sizilianischer Hitze in moskowitischen Frost erschüttern keinen Zoll seiner phallischen Bereitschaft und Kraft. Wo immer und wann immer, es genügt der Funke eines Blicks, der physische Fernkontakt weiblicher Nähe, und schon flammt und funktioniert diese unbesiegbare Sexualitas. Ein ganzes emsiges Vierteljahrhundert bewährt er den sagenhaften Messer sempre pronto, den Herrn Allzeitbereit der italienischen Schwanke, lehrt unermüdlich die
Weitere Kostenlose Bücher