Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
haben, warum und wozu. Alle seine Entschlüsse kommen wie ungewollt losgeknallte Pistolenschüsse aus den Nerven, aus der Laune, aus einer angespannten Langeweile. Und wahrscheinlich dankt er nur dieser couragierten Planlosigkeit die Fülle des Erlebens, denn more logico, brav sich erkundigend und kalkulierend, wird man nicht Abenteurer und mit strategischem System kein so phantastischer Meister des Lebens.
    Nichts fehlgängerischer darum als die sonderbare Mühe aller Dichter, unserm Casanova, sobald sie diesen heißen Triebmenschen als Helden einer Komödie oder Erzählung heranholen, so etwas wie eine wache Seele, ein Nachdenkliches oder gar Faustisch-Mephistophelisches einzubauen, ihm, dessen Reiz und Schwungkraft doch einzig aus dem Nichtnachdenken, der amoralischen Sorglosigkeit resultiert. Preßt ihm nur drei Tropfen Sentimentalität ins Blut, belastet ihn mit Wissen und Verantwortlichkeit, und schon ist er Casanova nicht mehr; kostümiert ihn düster-interessant, unterkellert ihn mit Gewissen, und schon steckt er in fremder Haut. Denn wenn etwas, so ist dieses lockere Weltkind nicht dämonisch, durchaus nicht: der einzige Dämon, der Casanova treibt, hat einen sehr bürgerlichen Namen und ein dickes, schwammiges Gesicht, er heißt höchst simpel: Langeweile. Unproduktiv von innen, muß er ohne Unterlaß Lebensmaterial heranraffen, aber dies sein unaufhörliches Alleshabenwollen liegt meilenweit ab vom Dämonischen des wirklichen Raffmenschen, eines Napoleon, der Land und Land und Königreich und Königreich begehrt aus Durst nach Unendlichkeit, oder eines Don Juan, der alle Frauen zu verführen sich gepeitscht fühlt, um die Welt der Frau, diese andere Unendlichkeit, als Alleinherrscher sein eigen zu wissen – der bloße Genußmensch Casanova sucht niemals so bergsteigerische Superlative, sondern nur die Kontinuität des Vergnügens. Nur nicht allein sein, nicht in diesem Frost von Leere einsam schauern, nur keine Einsamkeit! Man beobachte doch nur Casanova, wenn ihm das Spielzeug Unterhaltung fehlt, jede Art Ruhe wird dann sofort zur fürchterlichsten Unruhe. Er kommt abends in eine fremde Stadt: nicht eine Stunde hält es ihn in seinem Zimmer allein mit sich selbst oder einem Buch. Sofort schnuppert er nach allen Seiten, ob ihm nicht der Wind des Zufalls Amüsement bringt, die Magd allenfalls als Wärmflasche dienen könnte für die Nacht. Er wird unten in der Wirtsstube mit zufälligen Gästen zu plaudern beginnen, verdächtigen Falschspielern in jeder Spelunke Paroli halten, mit der erbärmlichsten Hure nächtigen, überall drängt ihn übermächtig die innere Leere dem Lebendigen, den Menschen zu, denn nur die Reibung mit andern entzündet seine Vitalität; mit sich selbst allein ist er wahrscheinlich einer der trübseligsten, gelangweiltesten Gesellen: man merkt es an seinen Schriften (mit Ausnahme der Memoiren) und weiß es von den einsamen Jahren in Dux, wo er die Langeweile »die Hölle« nannte, »die Dante zu schildern vergessen«. Wie ein Kreisel unablässig gepeitscht werden muß, sonst kollert er jämmerlich zu Boden, so braucht Casanova für seinen Schwung den spornenden Antrieb von außen: er ist (wie unzählig viele) Abenteurer aus Armut an produktiver Kraft.
    Darum wird er immer, kaum daß die natürliche Spannung des Lebens aussetzt, die künstliche einschalten: das Spiel. Denn das Spiel wiederholt in genialer Verkürzung die Lebensspannung, es schafft künstliche Gefahr und Abbreviatur des Schicksals: Asyl darum aller Augenblicksmenschen, ewige Unterhaltung aller Müßigen. Dank dem Spiel läßt sich gleichsam im Wasserglas Ebbe und Flut des Gefühls stürmisch erregen und wird so unersetzbare Beschäftigung der innerlich Unbeschäftigten. Casanova ist ihm verfallen wie keiner. Sowenig er eine Frau sehen kann, ohne sie zu begehren, vermag er Geld auf einem Spieltisch umrollen sehen, ohne daß ihm die Finger aus der Tasche zucken; und selbst, wenn er im Bankhalter einen notorischen Plünderer erkennt, einen Kollegen im Falschspiel, so wagt er, obwohl er ihn verloren weiß, seinen letzten Dukaten. Nichts zeigt seine Spielversessenheit, seine maßlose, haltlose Hasardwütigkeit offensichtlicher, als daß er, obzwar selbst Plünderer, immer wieder sich plündern läßt, weil er auch der übelsten Chance nicht widerstehen kann. Nicht einmal, sondern zwanzig-, hundertmal verliert er die Beute mühsamer Prellerei an die immer neu herausgeforderte Chance des Kartenfalls. Aber gerade dies stempelt

Weitere Kostenlose Bücher