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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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der österreichischen Polizei, die ihn zu solchen Narrenspielen trieb, sondern eine eingeborene, urtümliche Lust am Bluffen, In-Verwunderung-Setzen, Sich-Verstellen, Sich-Verstecken. Stendhal wirbelt Mystifikationen und Pseudonyme wie ein funkelndes Florett meisterlich um die eigene Person, nur damit kein Neugieriger ihm zu nah herankomme, und niemals hat er aus dieser seiner leidenschaftlichen Neigung zum Düpieren und Intrigieren ein Hehl gemacht. Als ein Freund ihn einmal erbittert in einem Briefe beschuldigt, er habe infam gelogen, notiert er seelenruhig an den Rand des Anklageschreibens »vrai« – »richtig! stimmt!« Mit munterer Stirn und ironischem Vergnügen schwindelt er in seine Amtszeugnisse falsche Dienstjahre, loyale Gesinnungen bald gegen die Bourbons, bald gegen Napoleon, in all seinen Schriften, den gedruckten und privaten, wimmeln die Unstimmigkeiten wie Fischlaich im Sumpf. Und die letzte seiner Mystifikationen ist – Rekord aller Lügenhaftigkeit! – auf ausdrücklich testamentarischen Wunsch sogar in Marmor gemeißelt, in seinen Leichenstein auf dem Montmartrefriedhof. Dort steht noch heute die Irreführung zu lesen: Arrigo Beyle, Milanese, als letzte Ruhestatt dessen, der gutfranzösisch Henri Beyle getauft und (zu seinem Ärger!) in der bittern Provinzstadt Grenoble geboren war. Selbst dem Tod wollte er sich noch in Maske präsentieren: noch für ihn hat er sich romantisch kostümiert.
    Aber dennoch und trotzdem: wenige Menschen haben der Welt so viel bekennerische Wahrheit über sich selbst gegeben wie dieser Meisterkünstler der Verstellung. Stendhal wußte gebotenenfalls mit der gleichen Vollendung wahr zu sein, mit der er zu lügen liebte. Mit einer zunächst verblüffenden, ja oft erschreckenden und dann erst überwältigenden Rückhaltlosigkeit hat er, erstmalig kühn, gewisse allerintimste Erlebnisse und Selbstbeobachtungen laut und gerade herausgesprochen, die andere bereits an der Schwelle des Bewußtseins hastig verschleiern oder wegeskamotieren. Denn Stendhal hat genausoviel Mut, ja Frechheit sogar, zur Wahrheit wie zur Lüge, er springt da wie dort mit einer famosen Unbedenklichkeit über alle Hürden der Gesellschaftsmoral, er pascht durch alle Grenzen und Wegschranken der innern Zensur; scheu im Leben, timid vor den Frauen, wird er sofort couragiert, sobald er die Feder nimmt; dann hindern ihn keine »Hemmungen«, im Gegenteil: wo überall er solche Widerstände in sich findet, packt er sie an, holt sie aus sich heraus, um sie mit der größten Sachlichkeit zu anatomisieren. Gerade, was ihn am meisten im Leben hemmte, das bemeistert er am besten in der Psychologie. Intuitiv hat er derart mit echtem Genieglück um 1820 schon einige der raffiniertesten Schließen und Schlösser der Seelenmechanik aufgeknackt, die erst hundert Jahre später die Psychoanalyse mit ihren komplizierten und kunstreichen Apparaten zerlegte und rekonstruierte – sein eingeborener und gymnastisch geübter Psychologenmut springt gleich um ein Jahrhundert mit einem Satz der geduldig vordringenden Wissenschaft voraus. Und dabei verfügt Stendhal über keine andern Laboratorien als die eigene Beobachtung: sein einziges Instrument ist und bleibt eine schneidend harte, sehr spitz geschliffene Neugier. Er beobachtet, was er fühlt, und was er fühlt, das spricht er wiederum frank und frech aus, und, je kühner, desto besser, je intimer, desto leidenschaftlicher. Seine schlimmsten, seine verkrochensten Gefühle durchforscht er am liebsten: ich erinnere nur, wie oft und wie fanatisch er sich des Hasses gegen seinen Vater rühmt, wie er höhnisch berichtet, er habe sich einen ganzen Monat vergebens bemüht, bei seiner Todesnachricht Schmerz zu empfinden. Die peinlichsten Geständnisse seiner sexuellen Hemmungen, seine fortwährenden Mißerfolge bei Frauen, die Krisen seiner maßlosen Eitelkeit, das legt er so sachlich exakt und ausgezirkelt vor den Leser hin wie eine Generalstabskarte: so findet man bei Stendhal gewisse Mitteilungen privatester und subtilster Aufrichtigkeit klinisch kalt beschrieben, die vor ihm niemals ein Mensch die Kehle hochkommen ließ oder gar der Indiskretion des Drucks überantwortete. Das ist seine Tat: im durchsichtig klaren, egoistisch eiskalten Kristall seiner Intelligenz sind einige der kostbarsten Erkenntnisse der Seele für immer festgefroren und der Nachwelt erhalten geblieben. Ohne diesen sonderbarsten Meister in der Verstellung wüßten wir weniger Wahrheit vom Weltall der

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