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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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verschaffen muß, damit der Lump über seine häufigen Absenzen das Maul hält. Denn auch hier nimmt Henri Beyle seinen Dienst lieber leicht: einen Staat, der einen Dichter in so abscheuliche Sümpfe setzt, zu betrügen, scheint ihm Ehrenpflicht für einen ehrlichen Egoisten; tut man nicht wirklich besser, mit klugen Menschen in Rom die Galerien zu besehen, unter allerlei Vorwänden nach Paris zu rasseln, als hier langsam und sicher zu verblöden? Kann man denn immer zu dem einen Antiquar, diesem Herrn Bucci, gehen und immer mit denselben öden Halbadeligen schwätzen? Nein, da spricht man lieber mit sich selbst. Man kauft sich aus alten Bibliotheken ein paar Bände Chroniken und schreibt die schönsten als Novellen heraus, man erzählt sich mit fünfzig Jahren, die man nun alt geworden ist, wie man in der Seele jung geblieben. Ja, das ist das Rechte: um die Zeit zu vergessen, blickt man in sich selbst zurück, und so fern scheint dem wohlbeleibten Konsul der schüchterne Knabe von einst, den er schildert, daß er im Schreiben glaubt, »Entdeckungen über einen Anderen zu machen«. So schreibt Henri Beyle, alias Stendhal, seine Jugend, schreibt sie in Chiffren, damit niemand ahne, wer dieser H. B., dieser Henri Brulard gewesen sei, in dicke Hefte hinein und vergißt sich selbst, den alle vergessen haben, in dem tröstlich-trügerischen Kunstspiel der Selbstverjüngung.
     
    1836 bis 1839, Paris.
    Noch einmal – wunderbar! – Auferstehung, noch einmal Rückkehr ins Licht. Gott segne die Frauen, alles Gute kommt von ihnen – sie haben so lange in den famosen Comte de Molé, der nun Minister geworden ist, hineingeschmeichelt, bis er beliebt hat, die Augen über das staatsfeindliche Faktum zu schließen, daß Herr Henri Beyle, der doch eigentlich Konsul in Civitavecchia ist, seinen dreiwöchigen Urlaub ganz frech und still auf drei Jahre gedehnt hat und nicht daran denkt, auf seinen Posten zurückzukehren. Ja, drei Jahre sitzt der Konsul statt in seinen Sümpfen behaglich in Paris, läßt unten den griechischen Gauner statt seiner schuften und hier sich sein Gehalt auszahlen, er hat Zeit und gute Laune, kann wieder in Gesellschaft gehen, noch einmal, sehr schüchtern schon, eine Liebschaft versuchen. Er kann tun, was ihm beliebt, und vor allem, was ihm nun das Schönste im Leben scheint: in seinem Hotelzimmer auf und ab gehen und einen Roman diktieren, »Die Kartause von Parma«. Denn mit einem fetten Staatsgehalt ohne Dienst kann man sich den Luxus leisten, gegen den Strich zu schreiben, einen Roman ohne Zuckerwerk und Resedenduft, denn man ist ja endlich frei. Und es gibt keinen andern Himmel auf Erden für Henri Beyle als die Freiheit.
    Aber dieser Himmel kracht bald ein. Der wackere und nachsichtige Minister Domte de Molé, sein Protektor – es wäre Zeit, ihm ein Denkmal zu errichten! –, wird gestürzt, ein neuer Pharao kommt ins Auswärtige Amt, ein Soldatenmarschall Soult, der von einem Stendhal nichts weiß, nur einen Herrn Konsul Henri Beyle in der Rangliste findet, der Frankreich im Kirchenstaat zu vertreten bezahlt wird und statt dessen seit drei Jahren vergnüglich in den Pariser Theatern herumsitzt. Der Herr General wundert sich erst, dann empört er sich über den faulen Beamten, der sich leben läßt, statt Akten zu kümmeln. Sofort poltert ein strenges Edikt, ohne Aufschub abzureisen. Henri Beyle zieht mürrisch die Uniform an und den Dichter Stendhal aus: müde, unwillig muß in der brennenden Sommerhitze der Vierundfünfzigjährige wieder hinab ins Exil; und er fühlt es: zum letztenmal.
     
    1841, Paris, 22. März.
    Ein umfänglicher, schwerleibiger Mann schleppt sich mühsam über den geliebten Boulevard. Aber wo ist die gute Zeit, da er hier noch nach Frauen Ausschau hielt, kokett wie ein Dandy den zierlichen Stock in der Hand pirouettierend: jetzt stützt sich der zitternde Arm bei jedem Schritt auf das feste Holz. Wie ist er alt geworden, Stendhal, im letzten Jahre, die früher funkelnden Augen liegen schlaff unter schweren und bläulich verschatteten Lidern, Nervenrisse zucken quer um die Lippen. Vor ein paar Monaten hat ihn zum erstenmal der Schlag getroffen, grimmige Rückerinnerung an jenes erste Liebesgeschenk in Mailand; und sie haben ihn zur Ader gelassen, mit Salben und Mixturen gequält, und schließlich hat das Ministerium die Rückkehr von Civitavecchia doch dem Kranken bewilligt. Aber was hilft jetzt Paris, was der begeisterte Aufsatz Balzacs über die »Chartreuse de Parme«, was

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