Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Vaterland. Herrliche Jahre, einzig der Musik hingegeben, den Frauen, dem Gespräch, dem Schreiben, der Kunst. Jahre mit Geliebten, freilich mit solchen, die einen schändlich betrügen, wie die allzu freigebige Angela, oder aus Keuschheit ablehnen, wie die schöne Mathilde. Aber doch Jahre, in denen man immer mehr sein eigenes Selbst fühlt und erkennt, an jedem Abend in der Scala sich die Seele neu in Musik reinbadet, manchmal ein Gespräch genießt mit dem edelsten Dichter der Zeit, Herrn von Byron, und von Neapel bis Ravenna alle Schönheit des Landes, allen Reichtum der kunstgeistig Gebildeten, in sich einsammeln kann. Niemand hörig, niemand im Wege, sein eigener Herr und bald sein eigener Meister: unvergleichliche Jahre der Freiheit! »Evviva la Libertà!«
     
    1821, Paris. Evviva la Libertà? Nein, es tut nicht mehr gut, in Italien von der Freiheit zu reden, die österreichischen Herren und Behörden verschnupfen sich gefährlich bei diesem Wort. Man soll auch keine Bücher schreiben, denn selbst, wenn sie blank plagiiert sind, wie die »Briefe über Haydn«, oder zu drei Vierteln andern Autoren abgeschrieben, wie die »Geschichte der italienischen Malerei« und »Rom, Florenz, Neapel«, so streut man doch, ohne es zu wissen, zwischen die Blätter allerhand Salz und Pfeffer, die die österreichische Obrigkeit in der Nase kitzeln, und bald wird der gestrenge Zensurbeamte Wabruschek (man könnte keinen schöneren Namen erfinden, aber so heißt er wirklich, weiß Gott!) dem Polizeiminister Sedlnitzky in Wien »unzählige tadelnswerte Stellen« darin reportieren. Derart kommt man, Freigeist und Freizügler, leicht in Gefahr, von den Österreichern für einen Karbonaro genommen zu werden, von den Italienern für einen Spion – also besser, man macht sich, wieder um eine Illusion ärmer, auf die Sohlen. Und ferner: für Freiheit ist noch eines nötig, nämlich Geld und dieser Bastard von Vater (Beyle tituliert ihn selten höflicher) hat jetzt endgültig erwiesen, was für ein dummer Narr er gewesen, indem er nicht einmal ein kleines, bescheidenes Rentchen seinem Rabensohn hinterließ. Wohin also? In Grenoble erstickt man, mit den schönen, bequemen Spazierfahrten im Kriegsnachtrab ist es leider vorbei, seit die bourbonischen Birnenköpfe feist und faul auf den Münzen kleben. Also zurück nach Paris, zurück in die Mansarde und nun zur Arbeit gemacht, was bisher bloß Vergnügen und dilettierendes Behagen war: Bücherschreiben, Bücher, Bücher.
     
    1828, Paris. Salon bei Madame de Tracy, Gattin des Philosophen.
    Mitternacht. Die Kerzen fast niedergebrannt. Die Herren spielen Whist, Madame de Tracy, eine ältere Dame, plaudert auf dem Sofa mit einer Marquise und ihrer Freundin. Aber sie hört nicht recht hinein ins Gespräch, immer wieder spitzt sie unruhig das Ohr. Von dort rückwärts, aus dem andern Zimmer beim Kamin, kommt allerhand verdächtiges Geräusch, ein scharfes Frauenlachen und das sonor dunkle Grölen eines Herren, dann wieder empörte Ausrufe »Mais non, c’est trop«, dann wieder ausbrechend und rasch zurückgerissen dieses eigentümliche Gelächter. Madame de Tracy wird nervös: das ist gewiß wieder der abscheuliche Beyle, der den Damen Pfeffer serviert. Ein kluger, feinfühliger Mensch doch sonst, extravagant und amüsant, aber der Umgang mit Schauspielerinnen, mit dieser italienischen Madame Pasta vor allem, hat ihm die Manieren verdorben. Sie entschuldigt sich und trippelt hastig hinüber, etwas Anstand zu gebieten. Richtig, da steht er, ganz in den Schatten des Kamins geduckt, wohl um das Embonpoint zu verbergen, ein Glas Punsch in der Hand, und funkelt Anekdoten, bei denen ein Musketier erröten würde. Die Damen scheinen fluchtbereit, sie lachen und protestieren, bleiben aber doch, von dem famosen Erzähler gefaßt, immer wieder neugierig und angeregt zurück. Wie ein Silen sieht er aus, rot und feist, mit glitzernden Augen, gutmütig und klug; jetzt, da Madame de Tracy naht, bricht er hastig ab unter ihrem strengen Blick, und die Damen nutzen die gute Gelegenheit, lachend Reißaus zu nehmen.
    Bald verlöschen die Lichter, die Diener geleiten mit tropfenden Kronleuchtern die Gäste die Treppe hinab: drei, vier Wagen warten, die Damen steigen ein mit ihren Männern, Beyle bleibt allein und mißmutig zurück. Keine nimmt ihn mit, keine lädt ihn ein. Zum Anekdotenerzählen ist er noch, gut genug, sonst gilt er nichts mehr bei den Frauen. Die Gräfin Curial hat ihm den Laufpaß gegeben; eine

Weitere Kostenlose Bücher