Stefan Zweig - Gesammelte Werke
leidenschaftlich sein, ohne sich zu kompromittieren, und als alter Mann wie ein Knabe träumen, ohne sich selbst zu beschämen. So wird Stendhals Schaffen zum Genießen und allmählich des gelernten Genießers privateste und verborgenste Selbstentzückung. Aber niemals hat Stendhal das Empfinden, große Kunst oder gar Literaturgeschichte zu machen. »Je parlais des choses que j’adore et je n’avais jamais pensé à l’art de faire un roman« gesteht er offen zu Balzac; er denkt nicht an die Form, an die Kritik, an das Publikum, die Zeitungen und die Ewigkeit, er denkt als tadelloser Egotist im Schreiben einzig an sich und sein Pläsier. Und schließlich, ganz, ganz spät, gegen die Fünfzig, macht er eine sonderbare Entdeckung: man kann mit Büchern sogar Geld verdienen. Und das spornt sein Behagen: denn immer bleibt Henri Beyles äußerstes Ideal Einsamkeit und Unabhängigkeit.
Allerdings: die Bücher haben keinen rechten Erfolg, der Magen des Publikums gewöhnt sich nicht an so trocken zubereitete, ohne Öl und Sentimentalität geschmalzte Kost, und er muß sich zu den eigenen Gestalten noch ein Publikum ausdenken, ganz rückwärts wo, in einem anderen Jahrhundert, eine Elite, die »happy few«, eine Generation von 1890 oder 1900. Aber die zeitgenössische Gleichgültigkeit kränkt Stendhal nicht sehr ernstlich: im letzten sind diese Bücher ja nur Briefe, an ihn selbst adressiert. »Que m’importent les autres?«, Stendhal schreibt nur für sich. Der alternde Epikureer hat sich eine neue, letzte und zarteste Lust erfunden: bei zwei Kerzen an seinem Holztisch oben in der Mansarde zu schreiben oder zu diktieren, und dieses intime, ganz innerliche Selbstgespräch mit seiner Seele und seinen Gedanken wird ihm am Ende seines Lebens wichtiger als alle Frauen und Freuden, als das Café Foy, als die Diskussionen in Salons, selbst als die Musik. Der Genuß in der Einsamkeit und die Einsamkeit im Genuß, dieses sein erstes und ältestes Urideal, entdeckt sich der Fünfzigjährige endlich in der Kunst.
Eine späte Freude allerdings, eine abendrötliche und schon umwölkt von Resignation. Denn Stendhals Dichtung setzt zu spät ein, um sein Leben noch schöpferisch zu bestimmen, sie beendet, sie musikalisiert nur sein langsames Sterben. Mit dreiundvierzig Jahren beginnt Stendhal seinen ersten Roman »Le Rouge et le Noir« (ein früherer »Armance« zählt nicht ernstlich mit), mit fünfzig Jahren den »Lucien Leuwen«, mit vierundfünfzig den dritten, die »Chartreuse de Parme«. Drei Romane erschöpfen seine literarische Leistung, drei Romane, die, vom motorischen Zentrum her gesehen, nur einer sind, drei Variationen eines und desselben Ur- und Elementarerlebnisses: der Seelengeschichte von Henry Beyles Jugend, die der Alternde nicht in sich absterben lassen, sondern immer wieder erneuern will. Alle drei könnten sie den Titel seines Nachfahren und Verächters Flaubert führen: »L’éducation sentimentale« – »Die Erziehung des Gefühls«.
Denn alle diese drei Jünglinge, Julien, der mißhandelte Bauernsohn, Fabrizio, der verzärtelte Marquis, und Lucien Leuwen, der Bankiersohn, treten mit der gleichen glühenden und maßlosen Idealität in ein erkaltendes Jahrhundert hinein, Schwärmer sie alle für Napoleon, für das Heroische, für das Große, für die Freiheit; alle suchen sie aus dem Überschwang des Gefühls zuerst eine höhere, geistigere, beschwingtere Form, als sie das wirkliche Leben verstattet. Alle drei tragen sie ein verworrenes, unberührtes Herz voll verhaltener Leidenschaft den Frauen entgegen. Und alle drei werden sie grausam erweckt durch die schneidende Erkenntnis, daß man inmitten einer Frostwelt und Widerwelt sein heißes Herz verstecken, sein Schwärmertum verleugnen müsse; ihr reiner Anlauf zerschellt an der Kleinlichkeit und Bürgerangst der »Andern«, jener ewigen Feinde Stendhals. Allmählich lernen sie die Schliche ihrer Gegner, die Geschicklichkeit der kleinen Ränkespiele, die gerissenen Berechnungen, sie werden raffiniert, lügnerisch, weltmännisch und kalt. Oder noch ärger: sie werden klug, so rechenklug und egoistisch wie der alternde Stendhal, sie werden brillante Diplomaten, Geschäftsgenies und superbe Bischöfe; kurzum, sie paktieren mit der Wirklichkeit und passen sich ihr an, sobald sie aus ihrem wahren Seelenreich, dem der Jugend und reinen Idealität, sich schmerzhaft verstoßen fühlen.
Um dieser drei Jünglinge willen, oder vielmehr um des jungen verschollenen
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