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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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vorsichtig nennt er die Studie auch nicht »L’amour«, »Die Liebe«, sondern »De l’amour« »Uber die Liebe«, oder man übersetzte noch besser: »Einiges über die Liebe«. Höchstens ein paar Grundunterscheidungen zeichnet er an, lockern Gelenks, die amour-passion, die Liebe aus Leidenschaft, die amour-physique, die amour-goût, oder skizziert eine rasche Theorie ihres Werdens und Vergehens, aber wirklich mit Bleistift nur (wie er das Buch ja tatsächlich schrieb). Er beschränkt sich auf Andeutungen, Vermutungen, unverpflichtende Hypothesen, die er mit amüsanten Anekdoten plaudernd durchflicht, denn Stendhal wollte keineswegs Tiefdenker, Zu-Ende-Denker, Für-andere-Denker sein, niemals nimmt er sich die Mühe, das zufällig Begegnete weiter zu verfolgen. Die solide Fleißarbeit des Durchdenkens, des Auswalzens und Ausbauens überläßt dieser lässige »touriste« im Europa der Seele großmütig und nonchalant den Kärrnern und Klebern, und tatsächlich hat ja ein ganzes französisches Geschlecht die meisten Motive paraphrasiert, die er leichter Hand präludierte. Aus seiner berühmten Theorie der Kristallisation in der Liebe (die das Bewußtwerden des Gefühls mit jenem »rameau de Salzbourg«, jenem längst aus Salzwasser gesättigten Ast in der Lauge des Bergwerkwassers vergleicht, der innerhalb einer Sekunde plötzlich sichtbare Kristalle ansetzt) resultieren allein Dutzende psychologischer Romane, aus seiner einen, flüchtig hingestrichelten Bemerkung über den Einfluß der Rasse und des Milieus auf den Künstler hat sich Taine eine dickleibige, schweratmende Hypothese geholt. Stendhal selbst aber, den Nichtarbeiter, den genialen Improvisator, reizt die Psychologie niemals über das Fragment, über das Aphorisma hinaus. Schüler darin seiner französischen Ahnen Pascal, Chamfort, La Rochefoucauld, Vauvenargues, die gleichfalls aus Respektgefühl für das beflügelte Wesen aller Wahrheit ihre eigenen Einsichten niemals zusammendrängen zu einer dicken, auf breitem Gesäß seßhaften Wahrheit. Er wirft nur losen Gelenks seine Erkenntnisse von sich, gleichgültig, ob sie den Menschen konvenieren oder nicht, ob sie heute schon als wahr gelten oder erst in hundert Jahren. Er sorgt sich nicht, ob sie ihm bereits jemand vorausgeschrieben hat oder andere sie ihm nachschreiben werden: er denkt und beobachtet ebenso mühelos und naturhaft, wie er atmet, spricht und schreibt. Mitläufer zu suchen war niemals dieses Freidenkers Sache und Sorge; schauen und immer tiefer schauen, denken und immer klarer denken, ist ihm Glücks genug.
    Wie Nietzsche hat er nicht nur guten Denkmut, sondern gelegentlich auch einen sehr bezaubernden Denkübermut; er ist stark und verwegen genug, mit der Wahrheit auch zu spielen und die Erkenntnis zu lieben mit einer fast fleischlichen Wollüstigkeit. Wie moussiert und perlt, schaumig und leicht, dieser Geist von überquellendem Lebensgefühl, und doch sind diese einzelnen Aphorismen nur immer lose Tropfen seines seelischen Reichtums, zufällig über den Rand gesprühte; die eigentlichste Fülle Stendhals aber bleibt immer innen bewahrt, kühl und feurig zugleich, im geschliffenen Kelche, den erst der Tod zerschmettert. Aber schon diese abgesprengten Tropfen haben die helle und beschwingende Rauschkraft des Geistigen; sie beleben wie guter Champagner den lässigen Schlag des Herzens und erfrischen das dumpfe Lebensgefühl. Seine Psychologie ist nicht Geometrie eines gutgeschulten Gehirns, sondern konzentrierte Essenz eines Daseins: das macht seine Wahrheiten so wahr, seine Einsichten so hellsichtig, seine Erkenntnisse so weltgültig, und vor allem gleichzeitig einmalig und dauerhaft – denn kein Denkfleiß weiß jemals das Lebendige derart vollsinnlich zu fassen wie der unbekümmerte Denkmut einer souveränen Natur. Ideen und Theorien sind wie Schatten des homerischen Hades immer nur lose Schemen, gestaltloser Spiegelschein: erst wenn sie vom Blut eines Menschen getrunken haben, gewinnen sie Stimme und Gestalt und vermögen zur Menschheit zu sprechen.

Selbstdarstellung
    Qu’ai-je été? Que suis-je?
Je serais bien embarrassé de le dire.
     
    F ür seine erstaunliche Meisterschaft der Selbstdarstellung hat Stendhal keinen andern Lehrmeister als sich selbst gehabt. »Pour connaître l’homme il suffit de s’étudier soi-même: pour connaître les hommes il faut les pratiquer«, sagt er einmal und fügt sofort bei, die Menschen kenne er nur von Büchern her, alle seine Studien habe er

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