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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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einzig an sich selbst unternommen. Immer geht Stendhals Psychologie von ihm selber aus. Immer zielt sie einzig auf ihn selbst zurück. Aber in diesem Weg rund um ein Individuum ist die ganze Seelenweite des Menschlichen umschlossen.
    Den ersten Schulgang der Selbstbeobachtung macht Stendhal in seiner Kindheit durch. Verlassen von der frühverstorbenen Mutter, die er leidenschaftlich liebte, sieht er nur Feindliches und Fremdgeistiges rings um sich. Er muß seine Seele verleugnen und verstecken, daß man sie nicht bemerke, und lernt früh mit dieser ständigen Verstellung »die Kunst der Sklaven«, zu lügen. In die Ecke geduckt, nutzt er die Zeit seines Schmollens und Grollens, den Vater, die Tante, den Lehrer, alle seine Quäler und Herrscher zu belauschen, und der Haß schleift seine Blicke zu grimmiger Schärfe; er wird, ehe in seinem weltlichen und sachlichen Studium, kundig in psychologicis, durch notgedrungene Gegenwehr, durch den Zwang seines Mißverstandenseins.
    Der zweite Kursus des so gefährlich Vorgebildeten dauert länger, eigentlich sein ganzes Leben lang: die Liebe, die Frauen werden seine hohe Schule. Man weiß längst – und er selbst leugnet das melancholische Faktum nicht –, daß Stendhal als Liebhaber kein Heros war, kein Eroberer und am wenigsten der Don Juan, als den er sich gern zu kostümieren pflegte. Mérimée berichtet, Stendhal nie anders als verliebt gesehen zu haben, leider fast immer unglücklich verliebt. »Mon attitude générale était celle d’un amant malheureux« – fast immer hatte ich Unglück in der Liebe, muß er eingestehen und sogar dies, »daß wenig Offiziere der Napoleonischen Armee so wenig Frauen besessen hätten wie er«. Dabei haben ihm sein breitschultriger Vater, seine warmblütige Mutter eine sehr drängende Sinnlichkeit vererbt: »un tempérament de feu«, aber wenn auch sein Temperament ungeduldig jede prüft, ob sie für ihn »ayable« sei, blieb Stendhal zeitlebens Liebesritter von ziemlich trauriger Gestalt. Zu Hause, am Schreibtisch, fern vom Schuß exzelliert dieser typische Vorlustgenießer in erotischer Strategik (»loin d’elle il a l’audace et jure de tout oser«), er schreibt in sein Tagebuch bis auf die Stunde rechnerisch genau, wann er seine momentane Göttin zu Fall bringen werde (»In two days I could have her«), aber kaum in ihrer Nähe, wird der Would-be-Casanova sofort zum schüchternen Gymnasiasten; der erste Sturmlauf endet regelmäßig (er gesteht es selbst) mit einer intimen Blamage des Mannes vor der schon nachgiebigen Frau. Er wird »timide et sôt«, wenn seine Galanterie aktiv werden müßte, zynisch, wenn er zärtlich sein sollte, und sentimentalisch in der Sekunde der Attacke, kurzum, er versäumt und verpaßt über Kalkulationen und Unfreiheiten die schönsten Gelegenheiten, und aus Verlegenheit wieder, aus der Angst, sentimental zu scheinen und »d’être dupe«, verbirgt der unzeitgemäße Romantiker seine Zartheit »sous le manteau de hussard«, unter dem Husarenmantel einer lauten, brüsken Grobheit und Kosakendeutlichkeit. Daher seine »fiascos« bei Frauen, diese geheime und schließlich von Freunden ausgeplauderte Verzweiflung seines Lebens. Nichts hat Stendhal zeitlebens so sehr ersehnt als handgreifliche Liebestriumphe (»L’amour a toujours été pour moi la plus grande des affaires ou plutôt la seule«), und vor niemandem, vor keinem Philosophen, keinem Dichter, nicht einmal vor Napoleon verrät er so viel wirklichen Respekt wie vor seinem Onkel Gagnon oder seinem Vetter Martial Daru, die unzählige Frauen besaßen, ohne irgendwelche geistige oder psychologische Kunstgriffe anzuwenden – oder vielleicht ebendarum, denn Stendhal kommt allmählich zur Erkenntnis, nichts hindere dermaßen den positiven Erfolg bei Frauen, wie wenn man sich selbst zu sehr mit Empfindung engagiere; »man hat nur Erfolge bei Frauen, wenn man sich nicht mehr Mühe gibt, sie zu haben, als eine Partie Billard zu gewinnen«, redet er sich schließlich ein. »J’ai trop de sensibilité pour avoir jamais le talent de Lovelace«; über kein Problem hat er dauerhafter, intensiver nachgedacht. Und gerade dieser seiner nervösen und mißtrauischen Selbstanatomie vom Erotischen her dankt er (und wir mit ihm) den vollkommenen Einblick in das feinste Faserwerk seiner Empfindungen. Nichts habe ihn, erzählt er selbst, dermaßen zur Psychologie erzogen, wie die amourösen Mißerfolge, die geringe Zahl seiner Eroberungen (die er im ganzen mit sechs

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