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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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stand sein Haus im geebneten Leben, unberührt von den Sturzbächen der Leidenschaft und dem Strom der Begier.
    Eines Abends, im sechsten Jahre seiner Stille, war Virata schon zur Ruhe gegangen, als er plötzlich gelles Schreien hörte und das nasse Geräusch von Schlägen. Er sprang auf von seinem Lager und sah, daß seine Söhne einen Sklaven in die Knie geworfen hatten und mit der Nilpferdpeitsche über den Rücken schlugen, daß Blut aufsprang. Und die Augen des Sklaven, in gepreßter Qual aufgerissen, starrten ihn an: wieder sah er des gemordeten Bruders Blick von einst in seiner Seele. Virata eilte zu, hielt ihren Arm an und fragte, was hier geschehen.
    Es ergab sich aus der Rede und Widerrede, daß jener Sklave, dessen Dienst es war, das Wasser aus dem Felsenbrunnen zu schöpfen und in hölzernen Kufen zum Hause zu bringen, mehrmals schon in der Hitze des Mittags, Erschöpfung vorgebend, zu spät mit seiner Last angelangt und wiederholt gezüchtigt ward, bis er gestern, nach einer sonderlich harten Bestrafung, entlaufen war. Die Söhne Viratas hatten ihm zu Pferde nachgesetzt und ihn schon jenseits des Flusses in einem Dorf erreicht, mit einem Seil an den Sattel des Rosses gebunden, so daß er, halb gezerrt, halb laufend, mit zerrissenen Füßen wieder heim mußte, wo ihm eben noch unerbittlichere Züchtigung zur eigenen Warnung und jener der andern Sklaven (die schauernd, mit zitternden Knien den Hingestreckten betrachteten) verabreicht wurde, bis Virata durch sein Kommen die gewalttätige Peinigung unterbrach.
    Virata blickte hinab auf den Sklaven. Der Sand unter seinen Sohlen war gefeuchtet von Blut. Die Augen des Verschreckten standen offen wie die eines Tieres, das geschlachtet werden sollte, und Virata sah hinter ihrer schwarzen Starre das Grauen, das einst in seiner eigenen Nacht gewesen. »Laßt ihn los«, sagte er zu den Söhnen, »sein Vergehen ist gesühnt.«
    Der Sklave küßte den Staub vor seinen Schuhen. Zum erstenmal traten die Söhne verdrossen von des Vaters Seite. Virata kehrte in seinen Raum zurück. Unbewußt, was er tat, wusch er sich Stirn und Hände, um bei der Berührung plötzlich erschreckt zu erkennen, was sein wacher Sinn vergessen: daß er zum erstenmal wieder Richter gewesen und Spruch gesprochen in ein Schicksal. Und zum erstenmal seit sechs Jahren floh ihn wieder der Schlaf.
    Da er aber schlaflos im Dunkel lag, kamen die Augen, die erschreckten, des Sklaven auf ihn zu (oder waren es jene des gemordeten Bruders?) und die zornigen seiner Söhne, und er fragte und fragte sich, ob nicht ein Unrecht geschehen sei von seinen Kindern an diesem Knecht. Blut hatte um geringer Lässigkeit willen den Sand seines Hauses genetzt, Geißel war in lebendigen Leib gefahren für kleinliche Versäumnis, und diese Schuld brannte ihn mehr als die Geißelschläge, die er selbst dereinst aufspringen gefühlt wie heiße Nattern über seinen Rücken. Keinem Freien freilich war diese Züchtigung geschehen, sondern einem Sklaven, dessen Leib sein eigen war vom Mutterschoße an nach dem Gesetze des Königs. War aber dies Gesetz des Königs auch ein Recht vor dem tausendförmigen Gotte, daß eines Menschen Leib ganz in fremdem Willen floß, frei jeder Willkür, und jeder schuldlos sei wider ihn, ob er ihm auch dies Leben zerriß oder verstörte?
    Virata stand auf von seinem Lager und entzündete ein Licht, um in den Büchern der Unterweisung ein Zeichen zu finden. Nirgends traf sein Blick Unterscheidung zwischen Mensch und Menschen als in der Ordnung der Kasten und Stände, nirgends aber war im tausendförmigen Sein Unterschied und Abstand in der Forderung der Liebe. Immer durstiger trank er Wissen in sich ein, denn nie war seine Seele aufgespannter gewesen in der Frage; da warf sich die Flamme am Span des Lichts noch einmal hoch und erlosch.
    Wie aber jetzt Dunkel von den Wänden stürzte, überkam es Virata geheimnisvoll: nicht sein Raum sei dies mehr, den er blinden Blickes umtaste, sondern der Kerker von einst, in dem er damals schreckfühlend erkannt, daß Freiheit das tiefste Anrecht des Menschen sei und keiner keinen verschließen dürfe, nicht auf ein Leben und nicht auf ein Jahr. Diesen Sklaven aber, so erkannte er, hatte er eingeschlossen in den unsichtbaren Kreis seines Willens und gekettet an den Zufall seiner Entschließung, daß kein eigener Schritt seines Lebens ihm mehr frei war. Klarheit kam in ihn, indes er still saß und fühlte, wie die Gedanken seine Brust so aufweiteten, bis von

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