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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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als sänke er mit jeder Stunde tiefer ins Dunkel hinab, zu Stein und schwarzer Wurzel der Erde, und doch trächtig neuen Keims, Wurm vielleicht, dumpf wühlend in der Scholle oder Pflanze, aufstrebend mit stoßendem Schaft, oder Fels nur, kühl ruhend in seliger Unbewußtheit des Seins.
    Achtzehn Nächte genoß Virata das göttliche Geheimnis hingegebenen Schauens, losgelöst von eigenem Willen und ledig des Stachels zum Leben. Seligkeit schien ihm, was er als Sühne getan, und schon fühlte er in sich Schuld und Verhängnis nur wie Traumbilder über dem ewigen Wachen des Wissens. In der neunzehnten Nacht aber fuhr er auf aus dem Schlaf: ein irdischer Gedanke hatte ihn angerührt. Wie glühende Nadel bohrte er sich ein in sein Hirn. Schreck schüttelte ihm graß seinen Leib, und die Finger zitterten an seiner Hand wie Blätter am Holze. Dies aber war der Gedanke des Schreckens: der Gefangene könnte untreu werden an seinem Schwur und ihn vergessen, und er müsse hier liegenbleiben tausend und tausend und tausend Tage, bis das Fleisch ihm von den Knochen fiele und die Zunge erstarrte im Schweigen. Noch einmal sprang der Wille zum Leben wie ein Panther auf in seinem Leibe und zerriß die Hülle: Zeit strömte ein in seine Seele und Angst und Hoffen, die Wirrnis des Menschen. Er konnte nicht mehr denken an den tausendförmigen Gott des ewigen Lebens, sondern nur an sich, seine Augen hungerten nach Licht, seine Beine, die sich scheuerten am harten Stein, wollten Weite, wollten Sprung und Lauf. An Weib und Söhne, an Haus und Habe, an die heiße Versuchung der Welt mußte er denken, die mit Sinnen getrunken wird und gefühlt mit der wachen Wärme des Blutes.
    Von diesem Tage des Erinnerns schwoll die Zeit, die bisher zu seinen Füßen stumm gelegen wie ein schwarzer, spiegelnder Teich, empor in sein Denken; wie ein Strom schoß sie her, aber immer wieder wider ihn. Er wollte, daß sie ihn mitreiße und hinschwemme wie einen springenden Balken zu der erstarrten Stunde der Befreiung. Aber gegen ihn strömte sie: mit ringendem Atem quälte er, ein verzweifelter Schwimmer, ihr Stunde um Stunde ab. Und ihm war, als zögerten mit einemmal die Tropfen des Wassers an der Wand im Falle, so weit schwoll die Spanne der Zeit zwischen ihnen. Er konnte nicht mehr länger verweilen auf seinem Lager. Der Gedanke, jener würde seiner vergessen und er müsse hier faulen im Keller des Schweigens, trieb ihn wie einen Kreisel zwischen den Wänden. Die Stille würgte ihn: er schrie die Steine an mit Worten des Schimpfens und der Klage, er fluchte sich und den Göttern und dem Könige. Mit blutenden Nägeln krallte er am spottenden Felsen und rannte mit dem Schädel gegen die Türe, bis er sinnlos zu Boden fiel, um wachend wieder aufzuspringen und, eine rasende Ratte, auf und ab durch das Viereck zu rennen.
    In diesen Tagen, vom achtzehnten der Abgeschiedenheit bis zum neuen Monde, durchlebte Virata Welten des Entsetzens. Ihn widerte Speise und Trank, denn Angst füllte seinen Leib. Keinen Gedanken mehr konnte er halten, nur seine Lippen zählten die Tropfen, die niederfielen, um die Zeit, die unendliche, zu zerteilen von einem Tage zum andern. Und ohne daß er es wußte, war das Haupt grau geworden über seinen hämmernden Schläfen.
    Am dreißigsten Tag aber erhob sich ein Lärmen vor der Türe und fiel zurück in eine Stille. Dann hallten Schritte, auf sprang die Tür, Licht brach ein, und vor dem Begrabenen des Dunkels stand der König. Und er umfaßte ihn liebend, da er sprach: »Ich habe von deiner Tat vernommen, die größer ist als eine, die je vernommen ward in den Schriften der Väter. Wie ein Stern wird sie hoch glänzen über dem Niedern unseres Lebens. Tritt heraus, daß das Feuer Gottes dich beglänze und das Volk seligen Auges einen Gerechten schaue.«
    Virata hob die Hand vor das Auge, denn das Licht stach dem Entwöhnten zu grell den Blick, und innen wogte purpurn das Blut. Wie ein Trunkener stieg er auf, und die Knechte mußten ihn stützen. Ehe er aber vor das Tor trat, sprach er:
    »Du hast mich, König, einen Gerechten genannt, ich aber weiß nun, daß jeder, der Recht spricht, unrecht tut und sich anfüllt mit Schuld. Noch sind Menschen in dieser Tiefe, die leiden durch mein Wort, und nun erst weiß ich um ihr Leiden und weiß: nichts darf mit nichts vergolten werden. Laß, König, jene frei und scheuche das Volk vor meinem Schritt, denn ich schäme mich seines Rühmens.«
    Der König tat einen Wink, und die Knechte

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