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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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unbarmherzigen Göttin der Rache, die jeden erreicht, daß du schweigst wider alle diesen Mond lang, und ich will dir den Schlüssel geben und mein eigenes Kleid. Den Schlüssel legst du vor des Pförtners Gelaß und gehst frei. Doch mit deinem Eide bleibst du gebunden vor dem tausendförmigen Gotte, daß du nach des Mondes Umkreis dieses Schreiben hinbringst dem Könige, damit ich gelöst werde und nochmals richte nach Gerechtigkeit. Schwörst du, dies zu tun, beim tausendförmigen Gotte?«
    »Ich schwöre« – wie aus der Tiefe der Erde brach es dem Bebenden von der Lippe.
    Virata löste die Kette und streifte sein eigen Kleid von der Schulter.
    »Hier, nimm dies Kleid, gib mir das deine und verdecke dein Antlitz, daß kein Wächter dich erkenne. Und nun fasse dies Schermesser und schere mir Haar und Bart, daß auch ich jenen nicht kenntlich sei.«
    Der Gefangene nahm das Schermesser, doch bebend sank ihm die Hand. Gebietend aber drang des andern Blick in ihn ein, und er tat, wie ihm geheißen. Lange schwieg er. Dann warf er sich hin, und schreiend sprang ihm das Wort aus dem Munde:
    »Herr, ich dulde nicht, daß du leidest um meinetwillen. Ich habe getötet, habe Blut vergossen mit heißer Hand. Gerecht war dein Spruch.«
    »Nicht du kannst es wägen und nicht ich, doch bald werde ich erleuchtet sein. Geh nun hin, wie du geschworen, und tritt am Tage des gerundeten Monds vor den König, daß er mich löse: dann werde ich wissend sein um die Taten, die ich tue, und mein Wort für immer ohne Unrecht. Geh!«
    Der Gefangene beugte sich und küßte die Erde…
    Schwer fiel die Türe in das Dunkel, noch einmal sprang Licht von der Leuchte gegen die Wände, dann stürzte die Nacht über die Stunden.
    Am nächsten Morgen wurde Virata, den niemand erkannte, auf das Feld vor die Stadt geführt und dort gegeißelt. Als ihm der zuckende Hieb zum erstenmal auf den nackten Rücken sprang, schrie Virata auf. Dann preßte er die Zähne zusammen. Bei dem siebzigsten Streich aber ward es dunkel vor seinen Sinnen, und sie trugen ihn fort wie ein totes Tier.
    In der Zelle hingestreckt erwachte er wieder, und ihm war, als läge er mit dem Rücken über brennendem Feuer. Um seine Stirn aber war Kühle, Duft von wilden Kräutern sog er ein mit dem Atem: er fühlte, daß eine Hand war über seinem Haar und daß Lindes von ihr niederträufelte. Leise öffnete er den Spalt der Lider und sah: die Frau des Pförtners stand neben ihm und wusch ihm sorgend die Stirne. Und als er jetzt das Auge voll aufschlug zu ihr, strahlte der Stern des Mitleids ihm aus ihrem Blick entgegen. Und durch den Brand seines Leibes erkannte er den Sinn alles Leidens in der Gnade der Güte. Leise lächelte er auf zu ihr und spürte nicht mehr seine Qual.
    Am zweiten Tage konnte er sich schon erheben und sein kaltes Geviert abtasten mit den Händen. Er fühlte, wie eine Welt neu wuchs mit jedem Schritt, den er tat, und am dritten Tage narbten die Wunden. Sinn und Kraft kehrten zurück. Nun saß er still und spürte die Stunden an den Tropfen nur, die niederfielen von der Wand und das große Schweigen teilten in viele kleine Zeiten, die still wuchsen zu Tag und Nacht, wie ein Leben aus Tausenden von Tagen selbst wieder wächst zu Mannheit und Alter. Niemand sprach auf ihn ein, Dunkel stand starr in seinem Blut, aber von innen stieg nun bunt Erinnerung in leisem Quell, floß mählich zusammen in einen ruhenden Teich der Schau, darin sein ganzes Leben gespiegelt war. Was er verteilt erlebt, rann nun in eines, und kühle Klarheit ohne Wellenschlag hielt das gereinigte Bild in der Schwebe des Herzens. Nie war sein Sinn so rein gewesen wie in diesem Gefühl reglosen Schauens in gespiegelte Welt.
    Mit jedem Tage nun ward Viratas Auge heller, aus dem Dunkel hoben sich die Dinge ihm entgegen und vertrauten seinem Spüren die Formen. Und auch innen ward alles heller in gelassener Schau: die lindere Lust der Betrachtung, wunschlos hinschwellend über den Schein eines Scheines, die Erinnerung, spielte mit den Formen der Verwandlung wie die Hände des Gefesselten mit den zerstreuten Kieseln der Tiefe. Selbst sich entschwunden, reglos gebannt, unkund der Formen eigenen Wesens im Dunkel, spürte er stärker des tausendförmigen Gottes Gewalt und sich selbst hinwandern durch die Gestalten, keiner anhängend, klar gelöst von der Knechtschaft des Willens, tot im Lebendigen und lebendig im Tode… Alle Angst der Vergängnis ging hin in sanfte Lust der Erlösung vom Leibe. Ihm war,

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