Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Herr bist, mußt du auch Herrscher sein: wer besitzt, ist gebunden an das Schicksal der Menschen.«
    »Ich aber will mich lösen von allem, was mich in Schuld bringt. So befehle ich euch, die Knechte freizugeben im Hause und selbst zu schaffen für unsere Notdurft.«
    Zorn schwoll in den Blicken der Söhne, kaum konnten sie ihr Murren verhalten. Dann sagte der Älteste: »Du hast gesagt, keines Menschen Willen wollest du beugen. Nicht befehlen magst du deinen Sklaven, damit du nicht fallest in Schuld; uns aber befiehlst du und stößt in unser Leben. Wo ist, ich frage dich, hier Recht vor Gott und den Menschen?«
    Virata schwieg lange. Als er den Blick hob, sah er die Flamme der Habgier in ihren Blicken, und Grauen kam über seine Seele. Dann sagte er leise:
    »Ihr habt mich recht belehrt. Ich will nicht Gewalt tun wider euch. Nehmt das Haus und teilt es nach eurem Willen, ich habe nicht teil mehr an der Habe und nicht an der Schuld. Wohl hast du gesprochen: wer herrscht, macht unfrei die andern, doch seine Seele vor allem. Wer leben will ohne Schuld, darf nicht teilhaben an Haus und fremdem Geschick, darf sich nicht nähren von fremder Mühe, nicht trinken von anderer Schweiß, darf nicht hängen an der Wollust des Weibes und der Trägheit des Sattseins: nur wer allein lebt, lebt seinem Gotte, nur der Tätige fühlt ihn, nur die Armut hat ihn ganz. Ich aber will dem Unsichtbaren näher sein als der eigenen Erde, ich will leben ohne Schuld. Nehmt das Haus und teilt es in Frieden.«
    Virata wandte sich und ging. Seine Söhne standen erstaunt; die gesättigte Habsucht brannte ihnen süß im Leibe, und doch waren sie beschämt in ihrer Seele.
    Virata aber schloß sich ein in seine Kammer, hörte auf Ruf nicht und Mahnung. Erst als die Schatten in die Nacht fielen, rüstete er sich zum Wege, nahm einen Stab, die Almosenschale, ein Beil zum Werk, eine Handvoll Früchte zur Zehrung und die Palmblätter mit den Schriften der Weisheit zur Andacht, schürzte sein Gewand über die Knie hoch und ließ schweigend sein Haus, ohne sich noch einmal umzuwenden nach Weib, Kindern und aller Gemeinschaft seiner Habe. Die ganze Nacht wanderte er bis zu dem Flusse, in den er einst in bitterer Stunde des Erwachens sein Schwert gesenkt, überquerte die Furt und zog dann stromaufwärts am andern Ufer, wo nirgends Bebautes war und die Erde den Pflug noch nicht kannte.
    Um die Morgenröte kam er an eine Stelle, wo der Blitz in einen uralten Mangobaum gefahren und eine Lichtung in das Dickicht gebrannt. Der Fluß strich lind im Bogen vorbei, und ein Schwarm von Vögeln umschwärmte das niedere Wasser, um furchtlos zu trinken. Helle war hier vom offenen Strom und Schatten im Rücken von den Bäumen. Zersplittert vom Schlage lag noch Holz umher und geknicktes Gesträuch. Virata besah das einsam lichte Geviert inmitten des Waldes. Und er beschloß, hier eine Hütte zu bauen und sein Leben ganz der Betrachtung zu leben, abseits von den Menschen und ohne Schuld.
    Fünf Tage zimmerte er an der Hütte, denn seine Hände waren der Arbeit entwöhnt. Und auch dann noch war sein Tagewerk voll Mühe, denn er mußte sich Früchte suchen für seine Nahrung, das Dickicht von seiner Hütte wehren, das gewaltsam wieder heranwuchs, und einen Raum roden im Kreise mit spitzen Pflöcken, damit die Tiger, die hungrig im Dunkel brüllten, nicht herankämen des Nachts. Kein Laut von Menschen aber drang in sein Leben und verstörte ihm die Seele, still strömten die Tage vorbei wie das Wasser im Strome, sanft erneuert von unendlicher Quelle.
    Nur die Vögel kamen noch immer, der ruhende Mann ängstigte sie nicht, und bald nisteten sie an seiner Hütte. Er streute ihnen Samen der großen Blumen und harte Früchte hin. Willig sprangen sie zu und scheuten nicht mehr seine Hände, sie flogen von den Palmen nieder, wenn er sie lockte, er spielte mit ihnen, und sie ließen sich vertraut von ihm berühren. Einmal fand er in dem Walde einen jungen Affen, der, ein Bein gebrochen und kindisch schreiend, auf dem Boden lag. Er nahm ihn zu sich und zog ihn auf, bis er gelehrig wurde und ihm in spielhafter Weise nachahmerisch diente wie ein Knecht. So war er sanft umgeben von Lebendigem, aber er wußte immer, daß auch in den Tieren die Gewalt schlummerte und das Böse wie im Menschen. Er sah, wie die Alligatoren einander bissen und jagten im Zorne, wie Vögel Fische mit spitzem Schnabel aus der Flut rissen und wiederum wie Schlangen die Vögel plötzlich ringelnd umpreßten: die

Weitere Kostenlose Bücher