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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sich nochmals und rührte den Saum ihres Kleides mit der Lippe. Da fiel aller Zorn von ihr ab, staunend sah sie dem Schreitenden nach.
    Eine Nacht noch verbrachte Virata in seiner Hütte, sah den Sternen zu, wie sie weiß aus der Tiefe des Himmels brachen und wieder erloschen im Morgen, noch einmal rief er die Vögel zum Futter und liebkoste sie. Dann nahm er Stab und Schale, wie er gekommen war vor Jahr und Jahr, und ging zurück in die Stadt.
    Kaum verbreitete sich die Kunde, daß der Heilige seine Einsamkeit verlassen habe und wieder in den Mauern weile, so strömte das Volk aus den Gassen, selig, den selten Erschauten zu sehen, manche aber auch in geheimer Angst, sein Nahen aus dem Gotte möge Verkündigung eines Unheils bedeuten. Wie durch einen winkenden Wall voll Ehrfurcht schritt Virata dahin und versuchte, mit dem heitern Lächeln, das sonst lind auf seinen Lippen saß, die Menschen zu grüßen, aber zum erstenmal vermochte er es nicht mehr, sein Auge blieb ernst und sein Mund verschlossen.
    So gelangte er in den Hof des Palastes. Es war die Stunde des Rates vorüber und der König allein. Virata ging auf ihn zu, der aufstand, ihn in seine Arme zu schließen. Aber Virata beugte sich zu Boden und faßte den Saum von des Königs Kleide im Zeichen der Bitte.
    »Sie ist erfüllt, deine Bitte«, sagte der König, »ehe sie noch Wort war auf deiner Lippe. Ehre über mich, daß mir Macht gegeben ist, einem Frommen zu dienen und eine Hilfe zu sein für den Weisen.«
    »Nicht nenne mich einen Weisen«, antwortete Virata, »denn mein Weg war nicht der rechte. Ich bin im Kreise gegangen und stehe, ein Bittender, vor deiner Schwelle, wo ich einstens stand, daß du mich meines Dienstes entbändest. Ich wollte frei sein von Schuld und mied alles Tun, aber auch ich ward verstrickt in das Netz, das den Irdischen gespannt ist von den Göttern.«
    »Fern sei mir, dies von dir zu glauben«, antwortete der König. »Wie konntest du unrecht tun an den Menschen, der du sie miedest, wie in Schuld fallen, da du im Gotte lebtest?«
    »Nicht mit Wissen habe ich unrecht getan, ich habe die Schuld geflohen, doch unser Fuß ist an die Erde gefesselt und unser Tun an der Ewigen Gesetze. Auch die Tatenlosigkeit ist eine Tat, nicht konnte ich den Augen des ewigen Bruders entrinnen, an dem wir ewig tun Gutes und Böses, wider unseren Willen. Doch siebenfach bin ich schuldig, denn ich floh vor dem Gotte und wehrte dem Leben den Dienst, ein Nutzloser war ich, denn ich nährte nur mein Leben und diente keinem andern. Nun will ich wieder dienen.«
    »Fremd ist mir deine Rede, Virata, ich verstehe dich nicht. Sag mir deinen Wunsch, daß ich ihn erfülle.«
    »Ich will nicht mehr frei sein meines Willens. Denn der Freie ist nicht frei und der Untätige nicht ohne Schuld. Nur wer dient, ist frei, wer seinen Willen gibt an einen andern, seine Kraft an ein Werk und tut, ohne zu fragen. Nur die Mitte der Tat ist unser Werk – ihr Anfang und Ende, ihre Ursache und ihr Wirken steht bei den Göttern. Mache mich frei von meinem Willen – denn alles Wollen ist Wirrnis, alles Dienen ist Weisheit –, daß ich dir danke, mein König.«
    »Ich verstehe dich nicht. Ich soll dich frei machen, forderst du, und bittest in einem um Dienst. So ist nur frei, wer eines andern Dienst übernimmt, und jener nicht, der ihm den Dienst befiehlt? Ich verstehe das nicht.«
    »Es ist gut, mein König, daß du dieses nicht verstehst in deinem Herzen. Denn wie könntest du noch König sein und gebieten, wenn du es verstündest?«
    Des Königs Antlitz wurde dunkel im Zorne:
    »So meinest du, daß der Gebieter geringer sei vor dem Gotte als der Knecht?«
    »Es ist keiner geringer und keiner größer vor dem Gotte. Wer nur dient und seinen Willen hingibt, ohne zu fragen, der hat die Schuld von sich getan und rückgegeben an den Gott. Wer aber will und meint, er könne mit Weisheit das Feindliche meiden, der fällt in Versuchung und fällt in Schuld.«
    Das Antlitz des Königs blieb dunkel:
    »So ist auch ein Dienst gleich dem andern, und keiner größer und keiner geringer vor dem Gotte und vor den Menschen?«
    »Es mag sein, daß manches größer scheine vor den Menschen, mein König, doch eins ist alles Dienen vor dem Gotte.«
    Der König sah lange und finster Virata an. Böse krümmte sich der Stolz in seiner Seele. Als er aber sein verschüttetes Antlitz gewahrte und das weiße Haar über der faltigen Stirne, meinte er, der Alte sei kindisch geworden vor der Zeit, und sagte

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