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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Massen. Nach wenigen Minuten war der weite Zirkus, der eben noch achtzigtausend Menschen in einen dunklen tönenden Block zusammengepreßt, völlig ausgefegt. Marmorn und stumm und leer wie ein verlassener Steinbruch lag das gestufte Oval in der sommerlichen Sonne. Nur unten in der Arena stand – die Fechter waren längst den andern nachgeflüchtet –, die schwarze Mähne schüttelnd, der vergessene Löwe und brüllte herausfordernd in die plötzliche Leere.
    Es waren die Vandalen. Bote auf Bote hetzte jetzt heran und jede Nachricht war schlimmer als die frühere. Mit Hunderten Seglern und Galeeren waren sie gelandet, ein behendes, bewegliches Volk; schon flitzten auf der Portuensischen Straße mit raschen, langhalsigen Hengsten die weißmäntligen berberischen und numidischen Reiter dem eigentlichen Heere voraus; morgen, übermorgen mußten die Räuberscharen schon vor den Toren stehen, und nichts war zur Abwehr bereit. Die Söldnerarmee kämpfte irgendwo weit bei Ravenna, die Befestigungsmauern lagen, seit Alarich die Stadt geschleift, in Trümmern. Niemand dachte an Verteidigung. Die Reichen und Vornehmen rüsteten hastig, um mit dem Leben zumindest auch einen Teil ihrer Habe zu retten, Maultiere und Karren. Aber schon war es zu spät. Denn das Volk wollte es nicht dulden, daß im Glück die Vornehmen es preßten und im Unglück feig verließen. Und als Maximus, der Kaiser, mit seinem Troß dem Palast entweichen wollte, sausten zuerst Flüche und dann Steine ihm entgegen; schließlich fiel der erbitterte Pöbel über den Feigen her und erschlug seinen kläglichen Kaiser mit Keulen und Äxten auf der Straße. Zwar sperrte man nachher, wie jeden Abend, die Tore; aber eben dadurch war die Angst in der Stadt völlig verschlossen; schwer drückend wie ein fauler, sumpfiger Dunst lag das Vorgefühl eines Fürchterlichen über den verstummten, lichtlosen Häusern, und wie eine erstickende Decke bauschte das Dunkel sich nieder über die verlorene Stadt, die in Schauer und Schrecken verging; unbekümmert und leicht aber leuchteten oben die ewig gleichgültigen Sterne, und an die azurne Wand des Himmels hängte wie allnachts der Mond sein silbernes Horn. Schlaflos und mit bebenden Nerven lag Rom und wartete auf die Barbaren wie ein Verurteilter, das Haupt bereits über den Block gepreßt, auf den unabwendbaren und schon angeschwungenen Schlag.
    Langsam, sicher, planhaft, sieghaft zogen unterdes die Vandalen auf der leeren Römerstraße vom Hafen heran. Wohlgeordnet marschierten die blonden, langhaarigen, germanischen Krieger, Hundertschaft nach Hundertschaft, im gutgelernten militärischen Schritt, und unruhig voraus stoben bügellos und mit flirrenden Wendungen ihre schönen Vollblutpferde tummelnd die Hilfsvölker der Wüste, die dunkelhäutigen und pechhaarigen Numidier. Mitten im Zuge ritt Genserich, der König der Vandalen. Lässig zufrieden lächelte er vom Sattel herab auf seine marschierende Volksschar. Der alte erfahrene Krieger wußte längst durch Späher, daß ernstlicher Widerstand nicht zu befürchten war, daß sie diesmal nicht zu entscheidender Feldschlacht rüsteten, sondern nur zu ungefährlicher Beutung. In der Tat: kein feindlicher Krieger zeigte sich. Erst an der Porta Portuensis, wo die schön geebnete Hafenstraße das innere Geviert Roms erreicht, trat dem König Papst Leo entgegen, geschmückt mit allen Insignien und funkelnd umringt von der ganzen Klerisei, Papst Leo, derselbe weißbärtige Greis, der erst wenige Jahre zuvor den schrecklichen Attila so glorreich bewogen, Rom zu verschonen, und dessen Bitte sich damals der heidnische Hunne in unbegreiflicher Demut gefügt. Auch Genserich stieg sofort vom Pferde, als er des majestätischen Weißbarts ansichtig ward, und hinkte ihm (sein rechter Fuß war verkürzt) höflich entgegen. Aber weder küßte er die Hand mit dem Fischerring noch beugte er fromm das Knie, weil er als arianischer Ketzer den Papst bloß als Usurpator des wahren Christentums betrachtete, und die beschwörende lateinische Anrede des Papstes, er möge die heilige Stadt doch schonen, nahm er mit kühlem Hochmut entgegen. Nein, keine Sorge, ließ er durch seinen Dolmetsch antworten, man solle nichts Unmenschliches von ihm befürchten, er sei selber ein Kriegsmann und Christ. Er werde Rom nicht mit Feuer verbrennen und nicht zerstören, obwohl diese herrschsüchtige Stadt tausend und tausend Städte geschleift und dem Erdboden gleichgemacht. Er werde in seiner Großmut sowohl das

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