Stefan Zweig - Gesammelte Werke
ließ, sein Eigen verschenkte und in den Wald wanderte, sich wie jener eine Hütte zu zimmern und dem Gotte zu leben. Denn das Beispiel ist das stärkste Band auf Erden, das die Menschen bindet; jede Tat weckt in andern den Willen zum Rechten, daß er aufspringt vom Schlummer seines Träumens und tätig die Stunden erfüllt. Und diese Erwachten wurden inne ihres leeren Lebens, sie sahen das Blut an ihren Händen und die Schuld in ihren Seelen; so huben sie sich auf und gingen ins Abseits, sich eine Hütte zu zimmern wie jener, nur noch der nackten Notdurft des Körpers zu leben und der unendlichen Andacht. Wenn sie einander begegneten beim Früchtesuchen am Wege, sprachen sie kein Wort, um nicht neue Gemeinschaft zu schließen, aber ihre Augen lächelten einander freudig zu und ihre Seelen boten sich Frieden. Das Volk aber nannte jenen Wald die Siedlung der Frommen. Und kein Jäger streifte durch seine Wildnis, um die Heiligkeit nicht durch Mord zu verstören.
Einmal nun, als Virata morgens im Walde schritt, sah er einen der Einsiedler reglos auf die Erde hingestreckt, und als er sich über ihn beugte, um den Gesunkenen aufzurichten, merkte er, daß kein Leben mehr in seinem Leibe war. Virata schloß dem Toten die Augen, sprach ein Gebet und suchte die entseelte Hülle aus dem Dickicht zu tragen, damit er einen Scheiterhaufen rüste und der Leib dieses Bruders rein eingehen könne in die Verwandlung. Aber die Last ward seinen Armen zu schwer, die sich entkräftet hatten in der kärglichen Nahrung der Früchte. So ging er, um Hilfe zu erbitten, über die Furt des Stromes zum nächsten Dorf.
Als die Bewohner des Dorfes den Erhabenen ihre Straße wandeln sahen, kamen sie, ehrfürchtig seinen Willen zu hören, und gingen sogleich, Bäume zu fällen und den Toten zu bestatten. Wo aber Virata ging, beugten sich die Frauen, die Kinder blieben stehen und sahen ihm staunend nach, der schweigend schritt, und mancher Mann trat aus seinem Hause, des erhabenen Gastes Kleid zu küssen und den Segen des Heiligen zu empfangen. Virata aber ging lächelnd durch diese blinde Welle und fühlte, wie sehr und wie rein er die Menschen wieder zu lieben vermochte, seit er ihnen nicht mehr verbunden war.
Als er aber an dem letzten niedern Hause des Dorfes vorbeischritt, überall heiter den guten Gruß der Nahenden erwidernd, sah er dort die zwei Augen eines Weibes voll Haß auf sich gerichtet – er schrak zurück, denn ihm war, als hätte er wieder die starren, seit Jahren vergessenen Augen seines gemordeten Bruders gesehen. Jach fuhr er zurück, so entwöhnt war seine Seele aller Feindlichkeit in der Zeit der Abkehr geworden. Und er beredete sich, es möge ein Irrtum gewesen sein seiner Augen. Aber die Blicke standen noch immer schwarz und starr gegen ihn. Und als er, wieder Herr seiner Ruhe, den Schritt löste, um auf das Haus zuzutreten, fuhr die Frau feindselig in den Gang zurück, aus dessen dunkler Tiefe er aber das Glimmern jenes Blickes noch auf sich brennen fühlte wie das Auge eines Tigers im reglosen Dickicht.
Virata ermannte sich. »Wie kann ich in Schuld sein wider jene, die ich niemals gesehen, daß ihr Haß gegen mich springt«, sagte er sich. »Es muß ein Irrtum sein, ich will ihn klären.« Ruhig trat er hin an das Haus und klopfte mit dem Knöchel an die Tür. Nur der nackte Schall schlug zurück, und doch fühlte er die haßerfüllte Nähe des fremden Weibes. Geduldig pochte er weiter, wartete und pochte wie ein Bettler. Endlich trat die Zögernde vor, finster und feindlich den Blick gegen ihn gewandt.
»Was willst du noch von mir?« fuhr sie ihn fauchend an. Und er sah, sie mußte sich an den Pfosten halten, so schüttelte sie der Zorn.
Virata aber sah nur in ihr Antlitz, und sein Herz ward leicht, da er gewiß ward, daß er sie niemals zuvor gesehen. Denn sie war jung und er war seit Jahren aus dem Wege der Menschen; nie konnte er ihren Pfad gekreuzt haben und etwas wider ihr Leben getan.
»Ich wollte dir den Gruß des Friedens geben, fremde Frau«, antwortete Virata, »und dich fragen, weshalb du im Zorne auf mich blickst. War ich dir etwa feind, habe ich etwas wider dich getan?«
»Was du mir getan hast« – ein böses Lachen ging ihr um den Mund – »was du mir getan hast? Ein Geringes nur, ein ganz Geringes: mein Haus hast du von Fülle zu Leere getan, mir Liebstes geraubt und mein Leben zum Tode geworfen. Geh, daß ich dein Antlitz nicht mehr sehe, sonst verschließt sich nicht länger mehr mein
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