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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Kirchengut als auch die Frauen verschonen und nur »sine ferro et igne« beuten nach dem Recht des Stärkeren und des Siegers. Aber nun rate er – und dies sagte Genserich drohend, während ihm sein Stallmeister schon wieder in den Bügel half –, ohne jeden weiteren Verzug ihm die Tore Roms zu öffnen.
    Es geschah, wie Genserich es gefordert. Kein Speer wurde geschwungen, kein Schwert gezückt. Eine Stunde später gehörte ganz Rom den Vandalen. Aber nicht wie eine unbeherrschte Horde ergoß sich die siegreiche Piratenschar über die wehrlose Stadt. In geschlossenen Reihen, gezähmt von Genserichs eiserner, herrischer Hand, marschierten sie ein, die hohen und festen flachsblonden Krieger, durch die Via Triumphalis, und starrten nur manchmal neugierigen Blicks auf die tausend und tausend weißäugigen Statuen, die mit ihren stummen Lippen Beute zu versprechen schienen. Genserich selbst begab sich sofort nach dem Einmarsch in das Palatinum, die verlassene Wohnung des Kaisers. Aber weder nahm er die beabsichtigte Huldigung der Senatoren entgegen, die in ängstlicher Reihe warteten, noch ließ er ein Festmahl rüsten; kaum einen Blick warf er auf die Geschenke, mit denen die reiche Bürgerschaft seine Strenge zu beschwichtigen hoffte, sondern sogleich entwarf der harte Soldat, über eine Karte gebeugt, seinen Plan zur schnellsten und zugleich gründlichsten Schatzung der Stadt. Jeder Distrikt wurde einer andern Hundertschaft unterstellt und jeder der Unterführer für die Mannszucht seiner Leute verantwortlich gemacht. Denn was nun anhob, war keine wilde und regellose Plünderung, sondern planvoll-methodischer Raub. Zunächst wurden auf Genserichs Befehl die Tore geschlossen und mit Posten besetzt, damit nicht eine Spange oder eine Münze in der riesigen Stadt ihm entkomme. Dann beschlagnahmten seine Soldaten die Kähne, die Fuhrwerke, die Tragtiere und preßten Tausende der Sklaven zum Dienst, auf daß mit möglichster Eile alles, was Rom an Schätzen berge, vollzählig in das afrikanische Raubnest übersiedelt werden könne. Nun erst begann, planhaft und mit kalter, lautloser Sachlichkeit, die Plünderung. Gemächlich und kunstfertig, wie ein Metzger ein getötetes Tier zerstückelt, wurde in diesen dreizehn Tagen die lebendige Stadt ausgeweidet und Stück auf Stück aus ihrem nur leise zuckenden Leibe gerissen. Von Haus zu Haus, von Tempel zu Tempel gingen die einzelnen Trupps, geführt von einem der vandalischen Edelinge und begleitet von einem Schreiber, und holten, eines nach dem andern, alles heraus, was kostbar und beweglich war, die goldenen und silbernen Gefäße, die Spangen, die Münzen, die Juwelen, die Ambraketten aus Nordland, die Pelze aus Transsylvanien, den pontischen Malachit und die persischen gehämmerten Schwerter. Sie zwangen die Werkleute, sauber das Mosaik von den Wänden der Tempel abzulösen und die porphyrnen Fliesen wegzubrechen aus den Peristylen. Alles geschah vorbedacht, geübt und genau. Mit Winden, damit sie nicht beschädigt würden, holten die Werkleute, die erzenen Gespanne von den Triumphbogen herab, und von den Sklaven ließen sie Ziegel für Ziegel, nachdem sie das Gebäude ausgeraubt, das vergoldete Tempeldach des Jupiter Capitolinus abdecken. Nur die erzenen Säulen, die zu übermächtig groß waren, um in der Eile verladen zu werden, hieß Genserich mit Hämmern zerschlagen oder zersägen, um das Metall zu gewinnen. Straße um Straße, Haus nach Haus wurde sorglich ausgeräumt, und sobald sie die Wohnungen der Lebenden restlos geleert hatten, erbrachen sie die Tumuli, die Stätten der Toten. Aus den steinernen Sarkophagen rissen sie die juwelenen Kämme vom erloschenen Haar verstorbener Fürstinnen und die goldenen Spangen vom fleischlosen Gebein, die metallenen Spiegel raubten sie und die Siegelringe den Leichen, und selbst den Obolus, den man den Toten mit in das Grab tat, daß sie den Fährmann bezahlen könnten ins andere Reich, stahlen ihre gierigen Hände. Die gesamte Beute all dieser einzelnen Plünderungen wurde dann in getrennten Haufen auf einen vorausbestimmten Platz zusammengetragen. Da lag die goldgeflügelte Nike neben der mit Steinen geschmückten Truhe, die Gebeine einer Heiligen enthielt, und dem Spielwürfel einer vornehmen Dame. Silberne Barren häuften sich neben Purpurgewändern, köstlicher Glasguß neben grobem Metall. Jedes Stück vermerkte mit steifen nordischen Lettern der Schreiber auf seinem langen Pergament, um dem Raub den Schein einer gewissen

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