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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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die Stirntafeln des Priesters und die Menorah. Heute nacht, noch heute, schleppen die Vandalen den Leuchter fort zu den Schiffen.«
    Einen Augenblick schwiegen alle. Dann brach es wirr aus den erblaßten Mündern, Schrei um Schrei. »Der Leuchter… Wehe, noch einmal… Die Menorah… Gottes Leuchter… Wehe, wehe… Der Leuchter vom Tisch des Herrn… Die Menorah!«
    Die Juden taumelten gegeneinander wie Trunkene, sie schlugen sich mit Fäusten die eigene Brust, sie hielten sich klagend die Hüften, als brenne sie ein Schmerz, wie plötzlich Geblendete tobten die alten bedächtigen Männer.
    »Still!« gebot plötzlich stark eine Stimme, und alle verstummten sogleich. Denn es war der Oberste der Gemeinde, der Älteste, der Weiseste, der ihnen Schweigen gebot, der große Deuter der Schrift, Rabbi Elieser, den sie Kab ve Nake, den Reinen und Klaren, nannten. Achtzig Jahre fast war er alt und schlohweiß umrauschte der Bart sein Antlitz. Zerfurcht war seine Stirn von der schmerzhaften Pflugschar unerbittlichen Denkens, aber das Auge unter dem Busch der Brauen war wie ein Stern geblieben, gütig und klar. Er hob die Hand, schmal war sie und gelblich zerfurcht wie die vielen Pergamente, die er beschrieben, und waagerecht schnitt er mit ihr durch die Luft, als wollte er den Lärm wegstoßen wie einen schlimmen Rauch und reinen Raum schaffen für besonnene Rede.
    »Still!« wiederholte er. »Kinder schreien im Schreck, Männer bedenken. Setzt euch jeder und laßt uns beraten. Der Geist ist besser rege, wenn der Leib dabei ruht.«
    Beschämt setzten sich die Männer auf Schemel und Bänke. Rabbi Elieser redete leise vor sich hin, und es war, als ratschlagte er mit sich selbst:
    »Es ist ein Unglück geschehen, ein großes Unglück. Lange schon hatte man sie uns genommen, die heiligen Geräte, und keiner von uns hat jemals sie schauen dürfen in des Kaisers Kammer, nur dieser eine, Hyrkanos ben Hillel. Aber doch, wir wußten, sie waren seit Titus’ Tagen geborgen, sie waren noch da und waren uns nah. Freundlicher schien uns die römische Fremde, wenn wir gedachten, die heiligen Dinge, die durch tausend Jahre gewandert, die in Jeruscholajim gewesen und Babel und immer wieder heimgekehrt, nun ruhten sie aus, die geraubten, mit uns in der gleichen Stadt. Wir durften keine Brote legen auf den heiligen Tisch, und doch, immer, wenn wir ein Brot brachen, dachten wir an diesen Tisch. Wir durften kein Licht stecken an den heiligen Leuchter, aber immer, wenn wir ein Licht entzündeten, besannen wir uns der Menorah, die ohne Licht waiste in dem fremden Haus. Nicht uns gehörten die heiligen Dinge mehr, aber wir wußten, sie waren gesichert und geborgen. Und nun soll sie noch einmal anheben, die Wanderung des Leuchters, und nicht in die Heimstatt, wie wir meinten, sondern fort schleppt man ihn, und wer kann es erdenken, wohin. Aber klagen wir nicht. Klage allein schafft nicht Rat. Laßt uns alles durchdenken.«
    Die Männer lauschten stumm, die Stirnen gebeugt. Die Hand des Alten irrte noch immer den Bart auf und nieder. Noch immer wie mit sich selbst allein, ratschlagte er:
    »Der Leuchter ist von geläutertem Gold und oft habe ich gesonnen, warum hat Gott unsere Gabe so kostbar gewollt? Warum hat er gefordert von Moses, daß der Leuchter schwer sei im Gewicht, siebenkelchig und mit getriebenem Zierat und Kränzen und Blumen? Oft habe ich gedacht, ob dies nicht ihm Gefährdung schuf, denn immer kommt vom Reichtum das Böse, und eben das Kostbare lockt die Räuber heran. Aber wieder erkenne ich, wie eitel unser Denken ist und daß, was Gott gebietet, einen Sinn hat über unser Wissen und unseren Verstand. Denn nun verstehe ich: nur weil sie kostbar waren, haben diese unsere Heiligtümer sich bewahrt durch die Zeiten. Wären sie schlechtes Metall und schmuckloses Werk gewesen, so hätten die Räuber sie achtlos zerschlagen und Schwerter daraus geschmolzen oder Ketten. So aber bewahrten sie das Köstliche als köstlich auf, ohne ihr Heiliges zu ahnen. So nimmt sie ein Räuber dem andern und keiner wagt sie zu zerstören, und jede ihrer Wanderungen führt sie zu Gott zurück.
    Nun laßt uns überdenken. Die Barbaren, was wissen sie vom Heiligen? Nur daß er von Gold ist, unser Leuchter, sehen sie. Könnte man ihre Habgier locken, gäben wir ihnen das Doppelte, das Dreifache seines goldenen Gewichts, vielleicht gelänge es, ihn zu erkaufen. Wir können nicht kämpfen, wir Juden, nur im Opfer ist unsere Kraft. Wir müssen Botschaft senden

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