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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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zu all den Zerstreuten in jeglichem Lande, daß sie helfen, gemeinsam das Heilige zu lösen. Das Doppelte und Dreifache müssen wir geben dieses Jahr der Tempelspende, das Kleid vom Leibe und den Ring vom Finger. Wir müssen das heilige Gerät abkaufen und sei es um das Siebenfache seines goldenen Gewichts.«
    Ein Seufzer unterbrach ihn. Hyrkanos ben Hillel hob traurig den Blick.
    »Es ist vergebens. Ich habe es schon versucht«, sagte er still. »Es war gleichfalls mein erster Gedanke. Ich ging zu ihren Schätzern und Schreibern, aber sie waren grob und hart. Ich drang zu Genserich vor und bot ihm hohe Löse. Mürrisch horchte er zu und scharrte mit dem Fuß. Da verließ mich der Verstand, ich drängte in ihn und rühmte, daß der Leuchter in Schelomos Tempel gewesen und Titus als das Herrlichste des Triumphs ihn heimlich gebracht von Jeruscholajim. Da erst begriff der Barbar, was er gewonnen, und lachte frech: ›Ich brauche nicht euer Gold. So vieles habe ich hier erbeutet, daß ich die Ställe pflastern kann meiner Pferde und Edelsteine ihnen in die Hufe hämmern. Ist aber dieser Leuchter wirklich Schelomos Leuchter, dann ist er mir nicht feil. Hat ihn Titus im Triumph zu Rom vor sich getragen, dann soll er vor mir getragen werden im Triumph über Rom. Hat er eurem Gott gedient, so soll er jetzt dem wahren Gotte dienen. Geh!‹ – und damit wies er mich fort!«
    »Du hättest nicht gehen sollen!«
    »Bin ich denn gegangen? Ich warf mich vor ihn hin, ich faßte seine Knie. Aber sein Herz war noch härter als die eisernen Schienen seiner Schuhe. Er stieß mich fort wie einen Stein. Und dann schlugen mich die Knechte hinaus, kaum daß ich das Leben behielt.«
    Jetzt erst verstanden sie, warum Hyrkanos ben Hillels Kleider zerrissen waren. Jetzt erst merkten sie den geronnenen Blutstreif an seiner Schläfe. Schweigend saßen sie da und so still, daß man von fern das Knarren der Karren hörte, die noch immer und immer durch die Nacht zogen, und jetzt auch, sonderbar wiederholt von einem Ende zum andern der Stadt, die dumpfen vandalischen Hörner. Dann erlosch jeder Laut. Alle dachten sie dasselbe: der große Raub ist zu Ende, verloren der Leuchter!
    Rabbi Elieser hob mühsam den Blick. »Heute nacht, sagst du, führen sie ihn fort?«
    »Heute nacht. In einem Karren bringen sie ihn die Portuensische Straße entlang zu den Schiffen, und vielleicht, indes wir reden, zieht er schon weg. Diese Hörner riefen die Nachhut zusammen. Morgen früh laden sie ihn auf das Schiff.«
    Rabbi Elieser beugte den Kopf immer tiefer über den Tisch. Es war, als schliefe er im Hören ein. Wie ein Abwesender war er und fühlte nicht, daß die andern beunruhigt auf ihn blickten. Dann plötzlich hob er die Stirn empor und sagte ruhig: »Heute nacht, sagst du. Gut. Dann müssen wir mit.«
    Alle staunten. Aber der alte Mann wiederholte gelassen und fest: »Wir müssen mit. Es ist unsere Pflicht. Besinnt euch der Schrift und ihrer Gebote. Wenn die Lade wanderte, dann brachen wir auf; nur wenn sie ruhte, durften wir ruhen. Wenn Gottes Zeichen wandern, müssen wir wandern mit ihnen.«
    »Aber wie mit über das Meer? Wir haben keine Schiffe.«
    »Dann bis zum Meer. Es ist eine Nacht.«
    Jetzt stand Hyrkanos auf. »Wie immer rät Rabbi Elieser das Rechte. Wir müssen mitgehen. Es ist Teil unseres ewigen Wegs. Wenn die Lade wandert und Leuchter, muß das Volk mitwandern, die ganze Gemeinde.«
    Da klang aus der Ecke eine kleine, zaghafte Stimme. Simche, der Schreiner, ein arg verwachsener Mann, war es, der schreckhaft klagte: »Aber wenn sie uns greifen? Hunderte haben sie schon geschleppt in die Knechtschaft. Sie werden uns schlagen, sie werden uns töten! Unsere Kinder werden sie verkaufen und nichts ist gewonnen und nichts ist getan.«
    »Schweig!« fuhr einer dawider. »Und friß deine Angst. Wird einer von uns genommen, so ist er genommen. Stirbt einer, so ist er für das Heilige gestorben. Alle müssen wir, alle werden wir gehen.«
    »Ja, alle, wir alle.« Wirr schrien sie durcheinander.
    Jedoch Elieser, der Rabbi, machte ein Zeichen der Stille. Abermals schloß er die Augen, es war ihm Gewohnheit, wenn er nachdenken wollte. Dann entschied er:
    »Simche hat recht. Nicht schmäht ihn einen Feigen und Schwachen. Er hat recht, nicht alle dürfen ihr Leben wagen und sinnlos hinaus zu den Räubern in die Nacht. Denn nichts ist heiliger als das Leben: Gott will nicht, daß auch nur ein einziges unnütz vertan sei. Er hat recht, Simche, sie würden

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