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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Bald kamen sie vom Süden, bald vom Osten und Westen, die blonden, die dunklen, die fremden Völker, und alle räuberisch, und kaum hatte eine Rotte gesiegt, so fiel schon eine andere über sie her. Überall auf der Erde kriegten die Gottlosen und ließen den Frommen nicht Frieden. So hatten sie Jeruscholajim genommen, Babylon und Alexandria, und heute erlitt es Rom. Wo man rasten wollte, war Unrast, wo man Frieden suchte, war Krieg; man konnte dem Schicksal nicht entkommen. Einzig im Gebet war auf dieser verstörten Erde Zuflucht, Ruhe und Trost. Denn wunderbar ist das Gebet. Es betäubt die Angst mit großer Verheißung, es schläfert die Schrecknis der Seele ein mit singender Litanei, es hebt die Schwere des Herzens zu Gott auf seiner murmelnden Schwinge; gut ist es darum, zu beten in der Not, und noch besser, gemeinsam zu beten, denn alles Schwere wird leichter, wenn gemeinsam getragen, und alles Gute besser vor Gott, wenn verbunden getan.
    So saßen die Juden der römischen Gemeinde zusammen und beteten. Das fromme Murmeln floß aus ihren Bärten leise und stetig wie vor den Fenstern das Plätschern des Tiberstromes, der still und beharrlich die Planken der Spülbänke scheuerte und die Ufer mit seinem weichen Wandern wusch. Keiner der Männer blickte auf den andern und doch wiegten ihre alten morschen Schultern sich gleichmäßig im Takt, indes sie singend und sagend ebendieselben und selben Psalmen beteten, die sie hundert- und tausendmal gebetet und ihre Väter vor ihnen und deren Väter und Vorväter schon. Die Lippen wußten kaum, daß sie sprachen, die Sinne nicht, was sie fühlten; wie aus einem dunklen, benommenen Traum floß dieses zagende und klagende Getön.
    Plötzlich schraken sie auf, ein Ruck riß schroff die gebeugten Rücken empor. Außen war heftig der Klopfer an die Tür gefallen. Und immer, es saß ihnen schon im Blute, erschraken sie vor allem Plötzlichen, die Juden der Fremde. Denn was konnte Gutes kommen, wenn eine Tür ging in der Nacht? Das Murmeln riß ab, wie mit einer Schere zerschnitten, deutlicher jetzt vernahm man durch die Stille den gleichgültig weiterplätschernden Fluß. Alle horchten mit gekrampfter Kehle. Da fiel noch einmal der Klopfer, ungeduldig rüttelte eine Faust an der äußeren Tür. »Ich gehe schon«, sagte wie zu sich selber Abthalion und schlurfte hinaus. Das auf dem Tisch angeklebte Wachslicht bog seine Flamme flüchtend unter dem scharfen Luftzug der geöffneten Tür; wie innerlich die Herzen all dieser Menschen, zitterte die Flamme plötzlich und stark.
    Der Atem kam den Erschreckten erst wieder, als sie den Eintretenden erkannten. Hyrkanos ben Hillel war es, der Schatzmeister der kaiserlichen Goldpräge, der Stolz der Gemeinde, weil ihm als einzigem Juden Zutritt verstattet war in den kaiserlichen Palast. Jenseits von Trastevere zu wohnen, war ihm als besondere Gunst vom Hofe erlaubt, und er durfte vornehme farbige Kleider tragen; jetzt aber war sein Mantel zerrissen, sein Antlitz beschmutzt. Alle umringten ihn – denn sie ahnten, er hatte eine Botschaft – ungeduldig, daß er hastig erzähle, und doch voraus schon verstört, weil sie Unheil erfühlten an seiner Erregung.
    Hyrkanos ben Hillel atmete tief. Man sah, ein Wort war in seiner Kehle verkrampft und wollte nicht vor. Schließlich stöhnte er:
    »Es ist vorbei. Sie haben ihn. Sie haben ihn gefunden.«
    »Was gefunden? Wen gefunden?« Es jappte aus allen wie ein Schrei.
    »Den Leuchter, die Menorah. Ich hatte sie verborgen, als die Barbaren kamen, unter dem Abhub im Küchenraum. Mit Absicht ließ ich die andern Heiligtümer in der Schatzkammer, den Tisch mit den Schaubroten und die silbernen Trompeten und den Aronstab und die Weihrauch spendenden Gefäße, denn zu viele im Gesinde wußten von unseren Schätzen, als daß ich alles hätte bergen können. Nur eines wollte ich retten von den Geräten des Tempels, den Leuchter Mosis, den Leuchter aus Schelomos Haus: die Menorah. Und schon hatten sie alles im Schatze erbeutet, schon starrte die Kammer leer, schon forschten sie nicht weiter, schon fühlte ich das Herz mir gesichert, daß wir zumindest dies eine der heiligen Zeichen für uns errettet. Aber einer der Sklaven, es verdorre seine Seele, hatte gespäht, da ich den Leuchter barg, und verriet er es den Räubern, um selber sich freizukaufen. Er wies ihnen die Stelle, sie gruben ihn aus. Jetzt ist alles geraubt, was einstens im Allerheiligsten stand, in Schelomos Haus, der Tisch und die Gefäße und

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