Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Rechtlichkeit zu geben; Genserich selbst mit seinem Gefolge hinkte durch das Gewühl, tastete mit dem Stock die Dinge an, prüfte die Juwelen, lächelte und lobte. Wohlgefällig sah er zu, wie Karren für Karren und Kahn für Kahn hochbeladen die Stadt verließ. Aber kein Haus brannte, kein Blut wurde vergossen. Ruhig und regelmäßig, wie in einem Bergwerk die Förderwagen auf- und niedersteigen, leer der eine, gefüllt der andere, wanderten dreizehn Tage lang die Karrenzüge vom Hafen zum Meer und vom Meer zum Hafen. Gefüllt wanderten sie hinab, leer kamen sie zurück, und schon keuchten die Ochsen und die Maultiere unter der Last, denn solange man rückdachte in der Zeit, war nie in dreizehn Tagen so viel erbeutet worden wie bei diesem vandalischen Raube. Dreizehn Tage lang hörte man in der tausendhäuserigen Stadt nicht mehr die menschliche Stimme. Niemand redete laut. Niemand lachte. Es schwieg das Saitenspiel in den Häusern, und in den Kirchen erhob sich kein Gesang. Nur das Hämmern vernahm man, mit dem man das Beständige losbrach von seiner Stelle, das Poltern der stürzenden Quadern, das Knarren der überbelasteten Wagen und das dumpfe Muhen der ermüdeten Zugtiere, auf die immer und immer wieder die Geißel der Peiniger schlug. Manchmal heulten die Hunde, denen Nahrung zu geben man in der eigenen Angst vergessen, manchmal dröhnte dunkel ein Tubaton über die Wälle, wenn die Wachen sich ablösten. Die Menschen selber aber in den Häusern hielten den Atem an. Gefällt lag die Stadt, die Siegerin der Welt, und wenn nachts der Wind hinging durch die leeren Gassen, klang es wie das matte Stöhnen eines Verwundeten, der das letzte Blut seinen Adern entströmen fühlt.
An jenem dreizehnten Abend der Plünderung saßen am linken Ufer des Tibers, dort, wo der gelbe Fluß sich träge krümmt wie eine überfütterte Schlange, die Juden der römischen Gemeinde zusammen im Hause Mose Abthalions. Er war keiner der Großen unter den andern und kein Kenner der Schrift, nur ein alter harter Arbeitsmann, aber sie hatten sein Haus gewählt zur Zusammenkunft, weil die ebenerdige Werkstatt mehr Raum bot als die andern engen, verwinkelten Stuben. Seit dreizehn Tagen saßen sie so täglich alle beisammen mit grauen, übermüdeten Gesichtern, in ihren weißen Sterbegewändern, und beteten im Schatten der verschlossenen Läden zwischen den aufgehängten Rollen, den getünchten Tüchern und breiten Bottichen mit einer dumpfen und fast schon betäubten Beharrlichkeit. Bisher hatten sie noch nichts Böses erlitten von den Vandalen. Zwei- oder dreimal waren Trupps, begleitet von Edelingen und Schreibern, durch die niedere, enge Judengasse gezogen, wo die Nässe von vielen Überschwemmungen her wie Schwamm in den Fliesen der Häuser saß und in kalten Tränen von den versinterten Wänden niederrann; ein verächtlicher Blick genügte den geübten Räubern, um zu erkennen, daß von dieser Erbärmlichkeit nichts zu erbeuten war. Hier schimmerten keine marmorgetäfelten Peristyle, keine goldblitzenden Triklinien, hier bargen sich nicht erzene Statuen und Vasen. So zogen die Raubtruppen gleichgültig an ihnen vorbei und keine Brandschatzung, keine Plünderung drohte. Aber dennoch waren die Herzen der Juden Roms bedrückt, und sie drängten zusammen in beängstigtem Vorgefühl. Denn Unglück in der Stadt, in dem Land, wo sie wohnten – das wußten sie nun schon seit Geschlecht und Geschlecht –, wandte sich schließlich immer zum Unglück für sie. Im Glück vergaßen die Völker sie und achteten ihrer nicht. Da schmückten sich die Fürsten und bauten und trieben Prunk und der Pöbel hatte seine grobe Lust mit Hatzen und Jagden und Spielen. Aber immer, wenn Notstand kam, gab man ihnen die Schuld. Schlimm war es, wenn die Feinde siegten, schlimm, wenn eine Stadt geplündert wurde, schlimm, wenn Pest oder Krankheit in die Länder kam. Alles Böse der Welt, sie wußten es, wurde unweigerlich zum Bösen für sie, und sie wußten auch längst, daß es gegen dies ihr Schicksal kein Auflehnen gab, denn überall und allerorts waren sie wenige, überall und allerorts waren sie schwach und ohne Gewalt. Ihre einzige Waffe war das Gebet.
So beteten die Juden Roms jeden Abend bis tief in die Nacht, all diese dunklen und gefährlichen Tage der Plünderung. Denn was konnte der Gerechte anderes tun in einer ungerechten und rohen Welt, wo immer wieder die Gewalt obsiegt, als weg von der Erde sich zu Gott hinwenden? Jahre und Jahre ging das schon.
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