Stefan Zweig - Gesammelte Werke
alabasterner Schale das Gehäuse des Tempels. »Er ist heimgekehrt«, bebte der Schlafende in seinem Schlaf. »Irgendeiner hat getan, was immer ich ersehnte, irgendeiner hat den wandernden Leuchter erlöst. Ich muß es eigenen Auges sehen, ich der Zeuge! Einmal, noch einmal will ich die Menorah schauen in ihrer Rast an Gottes heiliger Stätte.« Und siehe, wie eine Wolke trug sein Wunsch ihn dahin, auf sprangen die Tore, und er trat ein in den heiligsten Raum, den Leuchter zu schauen. Aber unsagbar stark war das Licht. Wie weißes Feuer lohten die sieben Flammen des Leuchters zusammen, und so schmerzhaft brannte ihre zehrende Helle ihm ins Aug’, daß er aufschrie in seinem Traum. Er erwachte.
Benjamin war erwacht aus seinem Traum. Aber noch immer glühte schmerzhaft jenes Feuer ihm ins Auge, jäh mußte er die Lider schließen gegen den heißen Anprall des Lichts, und selbst dann wogte noch purpurn und funkelnd unter ihnen das Blut. Erst als er beschattend die Hand erhob, erkannte er, daß es Sonne war, die ihm so schmerzhaft ins Antlitz brannte, und er eingeschlafen gelegen an der Stelle, da er zu sterben vermeint, vom Ende der Nacht bis zur Frühe; jetzt erst hatte durch das Gezweige des Baums das steigende Licht ihn erreicht und erweckt. Verworren tastete Benjamin, mühsam sich aufrankend an dem Stamme, mit dem Blick in die Tiefe hinab: siehe, da lag das Meer, unendlich in seinem weiten Azur, wie er es zum erstenmal, ein Knabe, gesehen, und glitzernd in Marmor und Stein Byzanz. Mit Farbe und Glanz eines südlichen Morgens anglühte ihn die Welt – nein, Gott hatte nicht gewollt, daß er sterbe! Fürchtig beugte sich der alte Mann und senkte die Stirn im Gebet.
Als Benjamin sein Gebet geendet an den, der das Leben gibt und bemißt nach seinem Willen und Ratschluß, fühlte er leise von rückwärts sich angerührt. Es war Zacharias, der hinter ihm stand und, Benjamin ahnte es gleich, lange schon wachsam ob seines Schlummers gewartet. Und ehe der Greis sein Staunen bewältigt – denn wie wußte jener seinen Weg und wie fand er die Stätte seiner Rast? –, flüsterte Zacharias:
»Seit dem frühen Morgen suchte ich dich. Und als sie mir sagten in Pera, du seiest hügelauf gewandert des Nachts, rastete ich nicht, bis ich dich fand. Die andern sorgten um dich sich sehr. Ich aber sorgte mich nicht. Denn ich weiß, daß Gott dich noch will. Doch nun komm hinab in mein Haus. Ich habe Botschaft für dich.«
»Welche Botschaft?« wollte Benjamin fragen. Und »Ich will keine Botschaft mehr«, wollte er starrsinnig sagen, »zu oft hat Gott mich versucht.« Aber noch wogte in ihm die Tröstlichkeit des Traums, und von dem Licht, das in jenem Friedensland so selig erstrahlt, meinte er milden Widerschein im lächelnden Blicke des Freundes zu schauen. So weigerte er sich nicht, und sie schritten hinab; im Boot setzten sie über und kamen zu dem ummauerten Geviert des Palasts. Streng standen die Wächter an den Toren des Kaiserbezirks, aber – Benjamin staunte abermals – willig gewährten sie Zacharias Einlaß. »Meine Werkstatt stößt«, erklärte er, »an die Schatzkammer, darin geheim und geschützt vor Gefahr ich schaffe für den Kaiser. Tritt ein, und gesegnet sei dein Kommen! Bange nicht vor den andern: wir sind und bleiben allein.«
Die beiden Männer schlurften leise durch die Werkstatt, die in unsicherer Dämmerung schimmerte von kunstvoll getriebenen Gegenständen: an einer verborgenen Stelle öffnete der Goldschmied eine kleine Pforte, die ein paar Stufen hinabführte in ein rückwärts gelegenes Gemach, darin seine Wohnstatt und Stätte der eigenen Arbeit war. Verschlossen und vergittert waren die Fenster, im völligen Dunkel vergingen die Wände, nur auf den Tisch warf die beschirmte Werklampe einen kleinen goldenen Kreis gesparten Lichts.
»Setze dich, Lieber«, sagte Zacharias zu seinem Gast, »du wirst hungrig und müde sein.« Er räumte die Arbeit vom Tisch, brachte Brot und Wein und einige schön getriebene Silberschalen, in die er Früchte legte, Datteln, Nüsse und Mandeln. Dann hob er ein wenig den Schirm der Lampe. Der Lichtkreis erweiterte sich, überfloß den ganzen Tisch und erhellte die vergreisten knochigen Hände Benjamins, die wie erschöpft ineinandergefaltet lagen. »Iß, mein Lieber«, ermunterte Zacharias; weich und vertraut schien Benjamin, dem bitter Geprüften, diese fremde Stimme, wie ein süßer Wind kam sie zu ihm aus einem fernen Land. Gerne griff er nach den Früchten, langsam
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