Stefan Zweig - Gesammelte Werke
brach er das Brot, mit stillen, kleinen Schlucken trank er den purpurn im Lichte erglühenden Wein. Lieb war es ihm, daß er schweigend warten durfte und sich sammeln. Lieb war es ihm, daß gleich oberhalb des belichteten Kreises das Dunkel begann. Lieb war ihm dieser fremde Mann und wie von Kindheit vertraut. Manchmal versuchte er scheu und schüchtern anzusehen, den er im Dunkel sich gegenüber spürte mit dem leisen Gehaben der zarten Besorgnis.
Aber als ob er dies Verlangen nach vertrauter Nähe gespürt hätte, hob Zacharias den Schirm jetzt gänzlich von der Lampe. Das Licht, bisher niedergedrückt auf den Tisch, zerstreute sich hell im ganzen Raum. Zum erstenmal sah Benjamin von nah den bisher nur flüchtig gesehenen Freund, das zarte, kränkliche, ermüdete Antlitz, in das wie mit feinen Griffeln unzählige Falten gegraben waren: Antlitz verschwiegenen Leidens und stillwerkender Geduld. Und als jetzt jener die gesenkten Lider hob und offen die Augen ihn anblickten, begann in ihren Sternen ein warmes Rieseln und Glänzen: Zacharias lächelte ihm zu.
Dies Lächeln gab dem alten Manne Mut:
»Wie anders bist du zu mir als die andern. Böse sind sie mir alle geworden, weil ich nicht das Wunder gewirkt, und ich hatte sie doch beschworen, sie sollten kein Wunder erwarten. Nur du, der den Weg mir aufgetan zum Herrscher, nur du zürnst mir nicht. Und doch, sie haben recht, wenn sie meiner nun spotten. Warum habe ich Hoffnung erweckt, warum bin ich gekommen? Wozu lebe ich noch, um zu sehen, wie der Leuchter wieder wandert und uns meidet?!«
Zacharias aber lächelte noch immer ihm zu, und aus diesem weichen und starken Lächeln kam Trost:
»Nicht lehne dich auf. Vielleicht war es zu früh noch und unser Weg nicht der rechte. Denn was soll uns der Leuchter, solange der Tempel in Trümmern liegt und das Volk umgeht in der Fremde? Vielleicht will es Gott, daß des Leuchters Geschick noch Geheimnis bleibe und nicht offenbar werde dem Volke.«
Benjamin fühlte den Trost. Die Worte wärmten sein Herz. Er beugte das Haupt und sprach wie zu sich selbst:
»Verzeih meinen Kleinmut. Aber eng ist mein Leben geworden und zu nah schon dem Tod. Achtundachtzig Jahre hab’ ich bestanden; da will das Herz nicht mehr warten. Seit ich den Leuchter retten wollte, ein Kind, hab’ ich nur einem gelebt: seiner Wiederkehr und Erlösung, und von Jahr zu Jahr harrte ich getreu in Geduld. Nun ward ich ein Greis; wie vermöchte ich länger zu hoffen, zu warten?«
»Du mußt nicht mehr warten. In Bälde ist alles erfüllt!«
Benjamin starrte auf. Das Herz schlug heftige Hoffnung.
Stärker lächelte Zacharias ihm zu:
»Spürst du nicht, daß ich kam, dir Botschaft zu bringen?«
»Welche Botschaft?«
»Die Botschaft, die du erwartest.«
Benjamin erbebte bis zu den Händen herab. Mit einemmal zitterten sie wie schwankes Laub im Wind, die noch eben müd auf dem Tische geruht.
»Du meinst… du meinst, ich könnte es noch ein zweites Mal dem Kaiser…«
»Nein, nicht das. Was er einmal gesagt, nimmt er nie mehr zurück. Er gibt die Menorah nicht wieder.«
»Wozu dann mein Bleiben, mein Leben? Was soll ich hier warten und klagen, allen andern zur Last, und das heilige Zeichen geht fort und ist für immer dahin?«
Aber Zacharias lächelte noch immer, und stark und stärker erhellte das Lächeln ihm Auge und Mund:
»Noch ist der Leuchter nicht von uns gegangen.«
»Wie kannst du es wissen? Wie kannst du es sagen?«
»Ich weiß es. Vertrau mir!«
»Du hast ihn gesehen?«
»Ich hab ihn gesehen. Vor zwei Stunden noch war er im Schatzraum verschlossen.«
»Aber jetzt? Sie haben ihn fortgebracht?«
»Noch nicht! Noch nicht!«
»Doch jetzt? Wo ist er?«
Zacharias antwortete nicht gleich. Zweimal zitterte ihm schon aufgetan die Lippe, aber das Wort brach nicht durch. Endlich beugte er sich näher über den Tisch und hauchte, wie man ein Geheimnis flüstert: »Hier! Bei mir! Bei uns beiden!«
Benjamin zuckte auf, als hätte ihm einer ins Herz geschlagen:
»Bei dir?«
»Bei mir hier im Hause.«
»Bei dir hier im Hause?«
»In diesem Hause. In diesem Raum. Darum suchte ich dich.«
Benjamin bebte. In der Ruhe dieses Mannes war etwas, das ihn betäubte. Ohne daß er es wußte, hatten seine Hände sich gefaltet, und kaum hörbar flüsterte er:
»Bei dir? Wie kann das sein?«
»So sonderbar es dir auch dünke, es ist keinerlei Wunder. Seit dreißig Jahren wirke ich als Goldschmied hier im Palast, und kein Stück birgt der Schatz, den
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