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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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fassen. Mitten durch die murrende, schattende Masse des Volkes drängte er wild, das mißtrauisch-bös vor ihm wich. »So seht doch das Licht, dort drüben das Licht«, rief er tröstend ihnen zu. Doch gesenkter Stirn und stöhnenden Herzens gingen sie stumpf und dumpf, die Gedrückten, sie sahen es nicht, das ferne Licht, vielleicht schon waren ihre Augen von Tränen erblindet und ihre Herzen erlahmt an der allzu täglichen Not. Er aber gewahrte deutlich und immer deutlicher das Licht, sieben kleine Funken waren es, die nebeneinander schwesterlich schwebten, und nun er näher lief und lief – schon dröhnte ihm das Herz –, erkannte er, daß irgendwo ein Leuchter sein müsse, siebenarmig, der diese kleinen Flammen speiste und hielt. Aber auch dieser Leuchter – noch sah er ihn nicht – stand nicht still, auch er wanderte, wie jene hinwanderten im Dunkeln, geheimnisvoll gejagt und getrieben von bösem Wind, und darum leuchteten die fliegenden Flammen nicht still und grad, darum erhellten sie nicht, sondern wehten unsicher und klein. »Man muß ihn fassen, man muß ihn zur Ruhe bringen, den Leuchter«, dachte der Träumende, während sein eigenes Traumbild lief und lief, »denn wie hell würde er strahlen, hätte er Ruhe und Stand! Wie würde es blühen und wirken, dies Volk, dies geprüfte, hätte es Heimat und Rast!« Blindlings rannte er nach, es war wie ein Flug, und näher und näher kam er dem Leuchter, schon sah er den goldenen Stamm und die steigenden Schäfte und in den sieben Knäufen von Gold die sieben Flammen, eine jede vom Winde gedrückt, der wild diesen Leuchter weiter und weiter hintrieb über Länder und Berge und Meer. »Bleibe! Halt inne!« stöhnte er ihm nach. »Das Volk vergeht! Es braucht die Tröstung des Lichts, und es kann nicht ewig so im Dunkel wandern.« Doch weiter und weiter entschwebte der Leuchter, listig und bös blinzelten seine fliehenden Flammen. Da faßte den Jagenden Zorn; eine letzte Kraft raffte er auf, wie ein Hammer schlug ihm jetzt das Herz, in einem Sprung setzte er dem Flüchtigen nach, in die Faust ihn zu fassen. Schon fühlte sein starker Griff das kühle Metall, schon faßte, schon hielt er den schweren Stamm – da schlug gewaltsam ein Donner ihn nieder, schmerzhaft krachte der splitternde Arm. Und im eigenen Schrei hörte er tausendfach des Volkes aufschreiende Klage: »Verloren! Für immer verloren!«
    Aber siehe, da erlosch der Sturm, groß und gerade schwebte mit einmal der Leuchter empor und hielt inne im wandernden Fluge. Mitten im Luftigen blieb er in Schwebe, so still und gerade wie auf ehernem Stand. Seine sieben Flammen, bislang gedrückt in der wehenden Flucht des Windes, nun falteten sie golden sich auf und begannen zu leuchten, zu strahlen. Stärker und stärker leuchteten sie, und allmählich erhellte ihr goldener Schein golden die Tiefe. Und da der Hingestürzte verwirrt nun aufblickte nach jenen Wandernden hinter sich im Dunkel, da war nicht mehr Nacht auf der weglosen Erde und nicht mehr ein wanderndes Volk; fruchtbar und friedlich lag, geschmiegt an das Meer und beschattet von Bergen, ein südliches Land, Palmen und Zedern schwankten in zärtlicher Brise, und es blühte der Wein und goldete das Getreide, es weideten Schafe und mit sanftem Fuße eilte die Gazelle. Friedlich werkten die Menschen auf heimischer Erde, sie zogen das Wasser der Brunnen und führten den Pflug, sie melkten und harkten und säten und säumten ihr Haus mit Ranken und buntem Gebüsch. Kinder gingen dahin und sangen, von den Herden klang der Hirten Schalmei, und nachts standen über den schlafenden Häusern die Sterne des Friedens. »Was für ein Land ist dies?« fragte sich staunend der Träumende aus seinem Traum. »Und ist dieses Volk noch das gleiche, das vormals im Dunkel ging? Hat es endlich den Frieden gefunden, ist es endlich daheim?« Aber da schwebte der Leuchter neuerdings höher empor: wie eine Sonne erhellte sein Schein jetzt auch die Ränder des Himmels über dem ruhenden Land. Berge enthüllten beglänzt ihren Scheitel, und auf einem der Hügel leuchtete weiß mit mächtigen Zinnen eine ragende Stadt und über den Zinnen wuchtete riesig ein Haus aus gequadertem Stein. Dem Schlafenden bebte das Herz. »Dies muß Jeruscholajim sein und der Tempel«, atmete er heftig. Aber da schwebte der Leuchter schon weiter und der Stadt und dem Tempel entgegen. Wie weichendes Wasser ließen die Mauern ihn ein, und nun er innen im Heiligen schwebte, erglühte gleich

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