Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Leuchter dem tausendjährigen, das neue Gebild dem heiligen Urbild. Und am letzten, am siebenten Tag standen die beiden einander gegenüber wie Zwillingsgebrüder, nicht zu unterscheiden einer vom andern dank völliger Gleichheit in Größe und Farbe, Maß und Gewicht. Aber immer und immer verglich ruhelos mit seinem geübten Blick Zacharias die beiden, immer wieder kerbte und bosselte er weiter mit dem feinsten Stichel und der spitzesten Feile an seinem geliebtesten Werk. Schließlich senkte er ablassend die Hand. Kein Unterschied war mehr zu erspähen und so getreulich ähnlich waren die beiden, einer dem andern, daß, um sich nicht selber zu täuschen, Zacharias jetzt zum letztenmal den Stichel faßte und in den verschatteten innern Stempel einer Blüte winzig ein Zeichen einritzte, daß dieser, der neue Leuchter, sein eigenes Werk sei und nicht jener des Volks und des Tempels.
Dies vollendet, trat er zurück, zog den ledernen Schurz ab und wusch sich die Hände. Nach sieben Tagen des Werks sprach er zu Benjamin wieder zum erstenmal:
»Mein Dienst ist getan. Nun beginnt der deine. Nimm unsern Leuchter und tu damit nach deinem Bedünken.«
Aber zu seinem Verwundern wehrte Benjamin ab: »Sieben Tage hast du gewerkt, und sieben Tage habe ich gedacht und mein Herz befragt. Ein Bangen ist über mich gekommen, ob unser Tun nicht Betrug sei. Denn eines hast du genommen, und ein anderes gibst du jenen zurück, die dir willig vertrauten. Nein, es geht nicht an, daß wir heimsenden den unrechten und jenen behalten, daß krumm wir erschleichen, was uns grad nicht gegeben ward. Gott liebt nicht die Gewalt, und als ich, ein Kind, mit der Faust nach dem Heiligen griff, zerschlug er den Arm mir am Leibe. Aber ich weiß, nicht minder mißachtet Gott den Betrug, und wer täuscht und wer trügt, dem versehrt er die Seele.«
Zacharias überlegte:
»Doch wenn der Schatzmeister sich selbst den unrechten wählt von den beiden?«
Benjamin blickte auf:
»Der Schatzmeister weiß, daß einer alt ist und einer der neue, und wenn er fragt nach dem echten und rechten, so müssen wir den wahren ihm geben. Aber wenn Gott es so fügt, daß jener weiter nicht fragt und einer ihm ist wie der andere, weil gleich an Gold und Gewicht, dann hätten wir, meine ich, kein Unrecht getan. Bestimmt er selbst und wählt er den deinen, dann ist uns ein Zeichen gegeben. Aber nicht unser sei die Entscheidung.«
So sandte Zacharias den Knecht in des Schatzmeisters Wohnung, und der Schatzmeister kam, ein behäbig heiterer Mann mit kleinen kugeligen Augen, die scharf und geübt hinter den rötlichen Bäckchen vorlugten. Kennerisch tastete er gleich in dem Vorraum zwei silbern getriebene Schalen an, die eben vollendet lagen, sorgsam klopfte er sie mit dem Finger ab und prüfte die zierliche Zeichnung. Neugierig hob er einen nach dem andern der geschnittenen Steine vom Werktisch und gegen das Licht; so verspielt und verliebt musterte er Stück um Stück, die fertigen wie die werdenden Werke des Goldschmieds, daß Zacharias ihn mahnen mußte, endlich die Leuchter zu beschaun, die still und golden nebeneinander standen auf dem Schautisch, der tausendjährige und der eben geschaffene, Urbild und Abbild.
Angespannt trat der Schatzmeister vor das Leuchterpaar. Man sah, daß es seine Kennerlust reizte, an einem winzigen Makel oder an verborgener Ungleichheit den neugebildeten von dem erbeuteten zu unterscheiden. Sorgsam wandte und drehte er einen nach dem andern nach allen Seiten, so daß immer von andern Flächen das Licht auf sie fiel. Er wog ihr Gewicht, er ritzte das Gold an: zurücktretend und wieder nahetretend verglich und verglich er mit gesteigerter Spannung ihr untadelig Ebenmaß. Schließlich beugte er sich, das Auge mit einem geschliffenen Kristall vergrößernder Art bewehrt, ganz nah über die feinen Ritzen und Rillen. Aber er konnte keinen Unterschied finden. Ermüdet ließ er vom vergeblichen Vergleichen und klopfte Zacharias auf die Schulter:
»Ein Meister bist du, Zacharias, und selbst ein Schatz für unser Schatzhaus. In alle Ewigkeit wird niemand mehr unterscheiden können, welcher der ältere ist und welcher der neue, so sicher werkt deine Hand. Vortrefflich, mein Lieber!«
Und schon wandte er sich lässig ab, um neuerdings die geschnittenen Steine zu betrachten und einen für sich selber zu wählen. So mußte Zacharias ihn mahnen.
»Also welchen der Leuchter begehrt Ihr?« Gleichmütig und halb schon abgewandt antwortete der
Weitere Kostenlose Bücher