Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
Schatzmeister:
    »Welchen du magst! Mir bleibt es gleich.«
    Da trat Benjamin aus dem Schatten, in dem er scheu und erregt sich verborgen:
    »Herr, wir bitten dich: wähle du selbst einen von beiden als den deinen.«
    Erstaunt blickte der Schatzmeister auf den fremden alten Mann. Was wollte dieser Wunderliche und warum sah er so flehend ihn an mit zuckenden, brennenden Blicken? Aber gutmütigen Sinnes, wie er war, und zu höflich, einem alten Mann einen Wunsch nicht zu gewähren, wandte er sich nochmals zurück. Spaßhaft gelaunt, nahm er eine kleine Münze und schnellte sie hoch in die Luft. Sie fiel und rollte kreiselnd auf den Boden, dreimal drehte und kehrte sie sich; dann blieb sie schließlich zu seiner Linken liegen. Lächelnd deutete der Schatzmeister auf den Leuchter, der gleichfalls zur Linken stand: »Diesen also!« Dann ging er und die gerufenen Diener trugen den gewählten in die Schatzkammer hinüber. Dankbar und höflich begleitete der Goldschmied seinen Gönner bis an die Schwelle der Stube.
    Benjamin war zurückgeblieben. Mit zitternder Hand rührte er den Leuchter an. Es war der echte, der heilige, und jener hatte für den Kaiser den andern gewählt.
    Da Zacharias zurückkehrte, sah er Benjamin noch unbewegt vor dem Leuchter verharren und so brennend ihn anblicken, als zehre er mit diesem seinen Blick ihn ganz in sich hinein. Als endlich der alte Mann sich ihm entgegenwandte, schien der goldene Widerschein noch in seinen Augensternen zu glänzen: jene stille Ruhe war über den Geprüften gekommen, wie sie klarer Entschluß immer dem Herzen schenkt. Nur leise bat er:
    »Gott gebe dir Dank, mein Bruder. Und nun beschaffe noch eines: einen Sarg.«
    »Einen Sarg?«
    »Nicht wundere dich. Auch dieses hab’ ich bedacht und durchdacht in diesen sieben Tagen und Nächten, wie man den Leuchter zum Frieden brächte. Wie du habe erst ich vermeint: wenn wir die Menorah erretten, so soll sie dem Volke gehören, und sie sollen sie wahren als heiligstes Unterpfand. Aber unser Volk, wo ist es und wo seine Stätte! Gejagte sind wir überall noch und Geduldete, nirgends ist ein Ort uns gesichert, um den Leuchter würdig zu hüten. Wo uns ein Haus ist, werden wir verjagt, wo wir einen Tempel bauen, zerbrechen sie ihn; solange die Gewalt noch gilt über den Völkern, hat das Heilige nirgends Frieden auf Erden. Nur unter der Erde ist Friede. Dort ruhen die Toten mit waagrechtem Fuß von ihrem Wandern, dort glänzt keinem Räuber das Gold und reizt die Begierde. In Frieden ruhe er dort, der Heimgekehrte, von tausend Jahren des Wanderns.«
    »Für ewig« – Zacharias staunte – »willst du den Leuchter begraben?«
    »Wann wäre dem Menschen gegeben, Ewigkeit nur zu erdenken? Wie könnte ich Frist setzen einem Dinge und weiß meine eigene nicht? Zur Ruhe will ich den Leuchter bringen, doch wie lange er ruht, wer weiß es, denn Gott? Die Tat kann ich tun, doch was ihr entwächst, wie soll ich es messen, wie rechnen die Zeit und die Ewigkeit? Gott soll entscheiden, nur er und nur er des Leuchters Geschick. Ich grabe ihn ein, nicht anders weiß ich ihn wahrhaft zu hüten, doch für wie lange, wer sagt das aus! Vielleicht läßt Gott ihn ewig im Dunkel, und ungetröstet muß unser Volk wandern, zerstäubt und zersprengt auf dem Rücken der Erde. Doch vielleicht – und mein Herz ist voll dieser Zuversicht – vielleicht wird sein Wille es wollen, daß unser Volk heimkehre zur Heimat. Dann wird er – vertraue nur! – einen zu wählen wissen, der im Zufall den Spaten faßt und das Grab des Vergrabenen findet, wie Gott mich gefunden, auf daß ich den Ruhlosen berge. Nicht sorge dich um die Entscheidung, laß sie ihm und der Zeit! Möge er für verloren gelten, der Leuchter, und wir, die wir Gottes Geheimnis sind – wir sind nicht verloren! Denn nicht wie der irdische Leib vergeht das Gold im Schoße der Erde und nicht unser Volk im Dunkel der Zeit. Dauern wird eines, dauern das andere, das Volk und der Leuchter! So laß es uns glauben, daß er aufersteht, den wir begraben, und einstmals neu leuchtet dem Volke, dem heimgekehrten. Denn nur wenn wir nicht ablassen zu glauben, bestehen wir die Welt.«
    Beide blickten sie voneinander weg, beide weit in die Ferne.
    Dann wiederholte Benjamin noch einmal:
    »Und nun schaff mir den Sarg.«
    Der Schreiner brachte den Sarg. Es war ein Sarg gewöhnlicher Art, und so hatte Benjamin ihn erbeten, damit, wenn er ihn mit sich führte in der Väter Land, nicht besondere Neugier sich rege.

Weitere Kostenlose Bücher