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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Oftmals brachten ja die Frommen Särge mit sich auf die Pilgerschaft, um Väter und Sippen in der heiligen Erde zu betten; ungefährdet konnte in solchem fichtenen Sarg der Leuchter geborgen werden, denn von allen Dingen der Welt entgeht nur das Gestorbene der Menschen Begier.
    Ehrfürchtig betteten die beiden die Menorah in den Totenschrein. Mit seinen Tüchern und schweren Brokaten, wie man die Thora umhüllt, Gottes eigenes Kind, umwanden sie sorglich seine goldenen Arme, und sie füllten die Leere des Raums mit Werg und weicher Wolle, damit im Tragen das Metall nicht klingend anschlage gegen das Holz und das Geheimnis verrate. Sachter und bebender Hand betteten sie so die Menorah in den Sarg, die Wiege der Toten, und sie wußten beide und schauerten: vielleicht, wenn Gott nicht gnädig wendete des Volkes Geschick, würden sie beide in alle Ewigkeit die letzten bleiben, die den Leuchter Mosis, den heiligen Leuchter des Tempels, mit ihren Händen berührt und ehrfürchtigen Auges erschaut. Ehe sie aber den Sarg verschlossen, holten sie noch ein beständiges Pergament und schrieben darauf und bezeugten, daß sie beide, Benjamin Marnefesch, genannt der bitter Geprüfte, aus Abthalions Geschlecht, und Zacharias aus Hillels Geblüt im achten Jahre der Herrschaft Justinians zu Byzanz die heilige Menorah mit eigener Hand in diesen Sarg getan, damit, wenn einer einstmals im Heiligen Lande diesen Leuchter ausgrabe, bekundet wäre, daß dieser der wahre des Volkes sei. Die pergamentene Rolle wickelten sie in eine bleierne Hülse, und diese Hülse wiederum verlötete Zacharias, der Goldschmied, genauester Art, auf daß nicht Feuchte und Moder jemals die Schrift zerstöre; mit goldener Kette heftete er sie an des Leuchters Stamm derart, daß zugleich mit dem Gerät das Zeugnis gefunden werde. Dies vollbracht, schlossen sie den Sarg mit Nägeln und Spangen. Kein Wort mehr aber ward zwischen ihnen beiden gesprochen, bis die Knechte den Sarg zu Benjamin brachten, auf das Schiff, das gegen Joppe fuhr. Dort erst – schon prasselte das aufgezogene Segel im Wind – nahm Zacharias Abschied und küßte den Freund:
    »Gott segne und behüte dich. Er führe deinen Weg und segne dein Vollbringen. Die letzten, die einzigen waren bis zu dieser Stunde wir beide, die wußten um den Weg des Leuchters. Von nun ab kennst nur du ihn allein.«
    Benjamin beugte sich fromm:
    »Auch meinem Wissen ist nur kurze Frist noch gegeben. Dann weiß nur mehr Gott, wo seine Menorah ruht.«
    Wie immer sammelte sich, wenn ein Schiff in Joppe anlegte, eine große Menge von Neugierigen am Strande, um die Landenden von nah zu betrachten und zu begrüßen. Auch einige Juden waren darunter, und kaum erkannten sie, daß jener alte weißbärtige Mann einer der Ihren war, und als sie sahen, daß hinter ihm die Schiffsknechte einen Sarg hertrugen, traten sie alle zusammen und folgten in schweigendem Einverständnis dem Sarg in feierlichem Zuge. Denn als milde und gottgefällige Tat gilt es jüdischem Glauben, einen jeden Toten ein Stück seines letzten Weges zu begleiten und auch bei eines Fremden und Unbekannten Bestattung frommer Helfer zu sein. Kein Jude von Joppe, sobald er die Nachricht vernahm von dem Sarge, den einer von ihnen gebracht über das Meer, entzog sich der heiligen Pflicht. Aus allen Gassen und Häusern drängten sie, Werk und Arbeit verlassend, schweigsam heran, und mit immer wachsendem Geleite ward der Sarg bis zum Rasthaus getragen, wo Benjamin Nächtigung suchte. Dort erst, nachdem der Sarg neben seine Lagerstatt gestellt war – denn dies forderte sonderbarerweise der Greis –, brachen sie das Schweigen. Sie grüßten den Genossen ihres Glaubens mit dem Gruße des Segens und fragten ihn, von wannen er komme und wohin sein Weg ihn führe. Benjamin antwortete karg. Er fürchtete sehr, daß schon Nachricht von Byzanz zu jenen gedrungen sein könnte und einer ihn erkennte. Und nicht noch einmal wollte er ungestüme Erwartung unter den Brüdern entfachen. Doch auch Unwahrheit wollte er meiden im Schatten des Leuchters: so bat er sie, Schweigen bewahren zu dürfen. Auftrag sei ihm geworden, diesen Sarg zu bestatten, und nicht mehr ihm zu sagen erlaubt. Sorgsam entwich er der weiter fragenden Neugier, indem er selber nun fragte, wo hier heilige Stätten wären, um den Sarg in die Erde zu senken. Da lächelten die Juden von Joppe mit stillem Stolz: heilig sei in diesem Lande jedwede Stätte und allorts die Erde schon selbstens geweihte Erde. Aber dann

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