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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Lustschlösser für Heiterkeit und Spiel, Kirchen mit wölbigen Räumen für Orgel und Gesang – von allem Anfang war dieser einen Stadt von ihren prunkfreudigen, kunstwilligen Herren das Festhafte, das Spielfrohe wissend eingetan, das dann einer ihrer Bürger, ihr ewiger Sohn Mozart, aus Stein und Linien in Geist und Musik erhoben hat. In ihm hat sich die Form dieser Stadt im anderen Element bis ins Ewige hinein gestaltet – unversehrt aber steht noch im Irdischen in ursprünglicher Form das alte Instrument, immer bereit, wieder zu erklingen, ein Rahmen für Festspiele und Freudigkeit, wie er natürlicher und großartiger nicht gedacht werden könnte. Denn hier müssen nicht wie im künstlichen Theater Kulissen aus Pappe und Leinwand künstlich zusammengeschoben werden, um Stimmung und theatralischen Schein zu erwecken, sondern hier ist – etwa beim Jedermannsspiel oder beim ›Faust‹ – die tagtägliche Gasse und der Hof, die Kirche und die Landschaft selbst schon unübertreffliche Kulisse und mitschaffende Stimmung. Es ist kein Wunder, daß die größten, die besten Künstler unserer Zeit sich hier beschwingter fühlen als in ihren bretternen, nach Staub und Moder schmeckenden Kulissenräumen, daß hier die Sänger ihre Stimmen heiterer und voller erheben und in den Festspielen wahrhaft alles festlich zusammenklingt. Denn wenn hier Musik und Festspiele beginnen, so wird nichts Fremdes und Neues gewaltsam der Stimmung der Stadt aufgepfropft, sondern der in Stein eingegrabene Gedanke ihrer einstigen Herren erst wahrhaft erfüllt, die gleichsam eingefrorene Musik ihres Wesens gerät ins Tönen und weiß wunderbar in ihren Zauber mitzureißen. Und an solchen seltenen Tagen, wo Himmel und Landschaft die erlesensten Künstler der Zeit in den erhabensten Werken wie ›Fidelio‹ oder der ›Zauberflöte‹ oder ›Orpheus und Eurydike‹ zusammenwirken, erlebt man manchmal in dieser zerstückten Welt, in diesen zerstückten Zeiten den reinen und vollen Aufschwung zur Festlichkeit, jenen Zustand der Gnade, der sich immer nur ergibt, wenn Natur und Kunst, wenn Kunst und Natur sich wie Lippe und Lippe berühren, und an solchen Tagen ist die Sendung dieser jahrtausendalten Stadt nicht nur für ihre Heimat, sondern für die ganze Welt erfüllt.

Die Gärten im Kriege
    1939
    U nter den vielen in Europa, die das triste Privileg haben, nun schon den Zweiten Weltkrieg mit wachen Sinnen mitzumachen, ist mir noch das Besondere vorbehalten gewesen, jeden dieser Kriege von einer anderen Front zu sehen. Den Ersten sah ich von Deutschland, von Österreich aus, den Zweiten von England. Darum wird mir Beobachten unwillkürlich zum ständigen Vergleich, einem Vergleich nicht nur der Konstellation beider Kriege, sondern auch der beiden Völker im Kriege.
    Die immense Verschiedenheit empfand ich schon am ersten Tage. 1914 war die Kriegserklärung in Wien ein Rausch, eine Ekstase. Man hatte den Krieg nur aus Büchern gekannt, man hatte ihn nie mehr für möglich gehalten in einer zivilisierten Zeit. Nun war er plötzlich da, und weil man nicht wußte, wie grausam, wie mörderisch er sein würde, erregte sich die jäh aufgepeitschte Phantasie kindlich-neugierig daran wie an einem romantischen Abenteuer. Ungeheure Massen strömten aus den Häusern, den Geschäften auf die Straßen, formten sich zu begeisterten Kolonnen; plötzlich waren Fahnen da, man wußte nicht woher, und Musik, man sang in Chören, man jauchzte und jubelte, ohne recht zu wissen, warum. Die jungen Leute stauten sich vor den Ämtern, um sich zu melden; sie hatten nur die eine Angst, sie könnten zu spät aufgerufen werden und das große Abenteuer versäumen. Und vor allem: jeder hatte das Bedürfnis zu sprechen, über das zu sprechen, was alle gemeinsam erregte. Fremde redeten sich an auf den Straßen, in den Ämtern vergaß man das Amt, in den Geschäften das Geschäft, man telephonierte sich ununterbrochen, von Haus zu Haus, um die innere Spannung im Wort zu entladen, die Restaurants, die Kaffeehäuser Wiens waren wochenlang voll bis tief in die Nacht von diskutierenden, von exaltierten, nervösen, aber immer schwätzenden und schwätzenden Menschen, jeder einzelne ein Stratege, ein Nationalökonom, ein Prophet.
    Dies blieb mir als Bild, als unvergeßliches, von Wien 1914. Und dann 1939 England, ein ebenso unvergeßlicher Kontrast. 1939 war der Krieg keine plötzliche Überraschung, sondern nur eine Wirklichkeit gewordene Befürchtung. In allen Ländern hatte man ihn

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