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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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gefertigt. Sie sind Elemente und haben alle wesenhaften Eigenschaften eines solchen, also auch typische Formen der Reaktion im Moralischen und Psychischen. Sie sind kaum Menschen mehr, sondern beinahe schon menschgewordene Eigenschaft, Präzisionsmaschinen einer Leidenschaft. Für jeden Namen kann man bei Balzac als Korrelat eine Eigenschaft setzen: Rastignac ist gleich Ehrgeiz, Goriot ist gleich Aufopferung, Vautrin ist gleich Anarchie. In jedem dieser Menschen hat eine dominierende Triebkraft alle anderen inneren Kräfte an sich gerissen und in die Richtungen des zentralen Lebenswillens gedrängt. Im höchsten Sinn wäre man versucht, sie Automaten zu nennen um der Präzision willen, mit der sie auf jeden einzelnen Lebensreiz reagieren, und wirklich wie eine Maschine sind sie in ihrer Kraftleistung und ihrem Widerstand für den technischen Kenner berechenbar. Ist man in Balzac einigermaßen eingelesen, so kann man die Antwort des Charakters auf die Tatsache so berechnen, wie die Parabel eines Steinwurfes aus der Stärke ihres Schwunges und der Schwere des Steines. Grandet, der Harpagon, wird in dem Maße geiziger werden, als seine Tochter opferwillig und heroisch. Und man weiß von Goriot schon zu den Zeiten, da er noch in leidlichem Wohlstand lebt und seine Perücke sorgfältig gepudert ist, daß er einmal seine Weste für die Töchter verkaufen wird und das Silbergeschirr zerbrechen, seinen letzten Besitz. Er muß notwendigerweise so handeln aus der Einheit seiner Charakteranlage, aus dem Trieb, den sein irdisches Fleisch nur unvollkommen mit einer menschlichen Form umkleidet. Die Charaktere Balzacs (und ebenso Victor Hugos, Scotts, Dickens’) sind alle primitiv, einfarbig, zielstrebig. Sie sind Einheiten und darum meßbar auf der Waagschale der Moral. Vielfarbig und tausendgestaltig ist in jenem geistigen Kosmos nur der Zufall, dem sie begegnen. Bei jenen Epikern ist das Erlebnis vielfältig, der Mensch die Einheit, und der Roman selbst der Kampf um die Macht gegen die irdischen Mächte. Die Helden Balzacs und des ganzen französischen Romans sind entweder stärker oder schwächer als der Widerstand der Gesellschaft. Sie bezwingen das Leben, oder sie kommen unter das Rad.
    Der Held des deutschen Romans, als dessen Typus Wilhelm Meister oder der Grüne Heinrich gedacht sei, ist nicht dermaßen seiner Grundrichtung gewiß. Er hat viele Stimmen, in sich, er ist psychologisch differenziert, ist seelisch polyphon. Das Gute und das Böse, das Starke und das Schwache fließen wirr in seiner Seele durcheinander: sein Anbeginn ist Verwirrung, und die Nebel der Frühe umwölken ihm den reinen Blick. Er spürt Kräfte in sich, aber noch ungesammelt, noch in Widerstreit, er ist ohne Harmonie, aber doch beseelt vom Willen zur Einheit. Das deutsche Genie zielt nun im letzten Sinne immer auf Ordnung. Und alle Entwicklungsromane entwickeln nichts anderes in diesen deutschen Helden als die Persönlichkeit. Die Kräfte werden gesammelt, der Mensch zum deutschen Ideal, zur Tüchtigkeit erhoben, »im Strom der Welt bildet sich« nach Goethes Wort »der Charakter«. Die vom Leben durcheinandergeschüttelten Elemente klären sich in der errungenen Ruhe zum Kristall, aus den Lehrjahren tritt der Meister, und vom letzten Blatt all dieser Bücher, aus dem Grünen Heinrich, dem Hyperion, dem Wilhelm Meister, dem Ofterdingen blickt ein klares Auge tatkräftig in eine klare Welt. Das Leben versöhnt sich dem Ideal; nicht mehr verschwenderisch wirr, sondern zu höchstem Ziel gespart wirken die nun geordneten Kräfte. Die Helden Goethes und aller Deutschen verwirklichen sich zu ihrer höchsten Form, sie werden werktätig und tüchtig: sie erlernen an Erfahrungen das Leben.
    Die Helden Dostojewskis suchen aber und finden überhaupt kein Verhältnis zum wirklichen Leben: das ist ihre Sonderheit. Sie wollen gar nicht in die Realität hinein, sondern von allem Anfang an über sie hinaus, ins Unendliche. Ihr Reich ist nicht von dieser Welt. All die Scheinformen von Werten, Titel, Macht und Geld, aller sichtbarer Besitz hat für sie Wert weder als Zweck, wie bei Balzac, noch als Mittel, wie bei den Deutschen. Sie wollen sich in dieser Welt gar nicht durchsetzen, nicht behaupten und nicht ordnen. Sie sparen nicht mit sich, sondern sie verschwenden sich, sie rechnen nicht und bleiben ewig unberechenbar. Sich selbst wollen sie fühlen und das Leben, aber nicht dessen Schatten und Spiegelbild, die äußere Realität, sondern das große mystische

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