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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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in den Wäldern des Amazonas zu finden. Dreihundert Millionen solcher Bäume wachsen dort seit Hunderten und Hunderten von Jahren, ohne daß je ihre besondere Form und ihr kostbarer Saft den Europäern bekannt geworden wäre. Die Eingeborenen benutzen ab und zu das ausfließende Harz, wie Le Condamine auf seiner Amazonasreise als erster 1736 feststellt, um ihre Segel und Gefäße gegen das Wasser zu verkitten. Aber das klebrige Harz, industriell nicht verwertbar, weil es weder hohen noch niederen Temperaturen Widerstand zu leisten vermag, wird nur ab und zu in kleinen Quantitäten und in primitiv angefertigen Artikeln zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts nach Amerika geschickt. Die entscheidende Wendung kommt erst, als 1839 Charles Goodyear entdeckt, daß man durch eine Schwefellegierung die weiche Masse in eine neue, gegen Hitze und Kälte weniger empfindliche umwandeln könne. Mit einem Schlage wird der Kautschuk einer der »big five«, eine der großen Notwendigkeiten der modernen Welt, kaum minder wichtig als Kohle, Petroleum, Holz und Erz. Man benötigt ihn zu Schläuchen, zu Galoschen und zu tausend anderen Dingen, und mit der Einführung des Fahrrads und dann des Automobils nimmt sein Verbrauch gigantische Proportionen an.
    Für den Grundstoff dieses neuen Produkts besitzt nun Brasilien bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts das ausschließliche Monopol. Im ganzen Weltall ist nur in seinen amazonischen Wäldern – ein ökonomischer Glücksfall ohnegleichen – die Hevea brasiliensis zu finden; es ist also an Brasilien, die Preise zu diktieren. Entschlossen, das kostbare Monopol für sich allein zu behalten, verbietet die Regierung die Ausfuhr auch nur eines einzigen Baumes, wohl sich erinnernd, wie sehr es selbst durch die Einführung von ein paar Dutzend Kaffeesträuchern aus dem nachbarlichen französischen Guayana seinerzeit den gefährlichsten Rivalen schachmatt gesetzt hat. Und nun beginnt in merkwürdiger Parallelität zu der Entdeckung des Goldes in Minas Gerais ein plötzlicher boom in den bisher nur von Moskitos und anderem Getier bewohnten Urwäldern des Amazonas. Abermals setzt mit diesem Zyklus des »flüssigen Goldes« eine gewaltige Binnenimmigration in eine bisher unbesiedelte Provinz ein. Siebzigtausend Menschen aus der Gegend von Cearê, die infolge einer plötzlichen Dürre ihre bisherigen Wohnstätten verlassen mußten, werden von den Compagnien angeworben und von Belém in Booten und Schiffen hinauf in diese Wildnis geschickt, oder wenn man es ehrlicher sagt: verkauft. Denn ein furchtbares System der Ausbeutung beginnt in diesen Gegenden, die so weit von Gesetz und Überwachung sind wie seinerzeit die Goldtäler von Minas Gerais; obwohl nicht Sklaven, werden diese seringueiros durch Arbeitskontrakte und dadurch, daß die Unternehmer, noch nicht zufrieden mit dem Gewinn an dem Gummi, diesen unseligen Arbeitern im »grünen Gefängnis« des Urwalds überdies noch die Waren und Lebensmittel, die sie benötigen, zum vier- und fünffachen Preise verkaufen, praktisch in Knechtschaft gehalten. Wer alle Einzelheiten des Horrors dieser Tage verstehen will, möge den wunderbaren Roman von Ferreira de Castro nachlesen, der mit großartigem Realismus diese schmachvolle Zeit schildert. Die Arbeit des seringueiro ist furchtbar; in elenden Hütten im Urwald kampierend, abseits von jeder gesitteten Menschheit, muß er mit Messer und Hacke durch das Gestrüpp erst den Weg zu diesen Bäumen sich bahnen, muß sie anzeichnen und abzapfen, mehrmals am Tag hin und zurück in der glühenden Hitze, muß zwischendurch die Gummimilch rechtzeitig verkochen und bleibt dabei, vom Fieber geschüttelt, in seinen Kräften zerstört, nach monatelanger Arbeit durch eine verbrecherische Kalkulation noch immer Schuldner des Unternehmers, der die Fracht der Beförderung von ihm zurückfordert, und der ihn bei der Lebensmittellieferung bewuchert. Versucht er aus seinem »Arbeitskontrakt«, wie man diesen Sklavendienst mit einem schöneren Worte nennt, zu entfliehen, so wird er genau wie früher ein Sklave von bewaffneten Wächtern gejagt und muß in Ketten weiterarbeiten.
    Aber dank dieser schamlosen Ausbeutung der Arbeiter, dank des Handelsmonopols und des von Jahr zu Jahr steigenden Weltbedarfs schnellen die Gewinne ins Phantastische hinauf. Die Tage von Vila Rica und Vila Real im achtzehnten Jahrhundert, da die Goldstädte mit hastigem Prunk und sinnloser Pracht mitten in einer Einöde aufwuchsen, scheinen

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