Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Pflicht als die jedes andern Ehemanns zu erfüllen. Zur rechten Hand die Dauphine, zur linken den Dauphin, führt der König das kindliche Paar (zusammen zählt es kaum dreißig Jahre) in sein Schlafgemach. Noch bis in die Brautstube drängt sich die Etikette ein, denn wer anders könnte dem Thronfolger das Nachthemd überreichen als der König von Frankreich in Person, und wer anders der Dauphine das ihre als die jüngst verheiratete Dame höchsten Ranges, in diesem Fall die Herzogin von Chartres? Dem Bette selbst aber darf nur ein einziger außer den Brautleuten nahen: der Erzbischof von Reims, der es segnet und mit Weihwasser besprengt.
Endlich verläßt der Hof den intimen Raum; Ludwig und Marie Antoinette bleiben zum erstenmal ehelich allein, und der Baldachin des Himmelbettes rauscht über ihnen nieder, brokatener Vorhang einer unsichtbaren Tragödie.
Geheimnis des Alkovens
I n jenem Bette geschieht nun zunächst – nichts. Und es gibt einen höchst fatalen Doppelsinn, wenn der junge Ehemann am nächsten Morgen in sein Tagebuch schreibt: »Rien.« Weder die höfischen Zeremonieen noch die erzbischöfliche Segnung des bräutlichen Bettes haben Gewalt gehabt über eine peinliche Hemmung der Natur des Dauphin, matrimonium non consummatum est, die Hochzeit wurde im eigentlichen Sinne nicht vollzogen, nicht heute, nicht morgen und nicht in den nächsten Jahren. Marie Antoinette hat einen »nonchalant mari«, einen nachlässigen Gatten, gefunden, und zunächst meint man, es sei nur Schüchternheit, Unerfahrenheit oder eine »nature tardive« (wir würden heute sagen: eine infantile Zurückgebliebenheit), die den Sechzehnjährigen bei diesem bezaubernden jungen Mädchen unfähig macht. Nur nicht drängen und den seelisch Gehemmten beunruhigen, denkt die erfahrene Mutter und mahnt Antoinette, die eheliche Enttäuschung nicht schwer zu nehmen – »point d’humeur là-dessus« schreibt sie im Mai 1771 und empfiehlt ihrer Tochter »caresses, cajolis«, Zärtlichkeiten, Liebkosungen, aber anderseits wieder nicht zuviel davon: »Trop d’empressement gâterait le tout.« Als aber dieser Zustand schon ein Jahr, zwei Jahre andauert, beginnt die Kaiserin über diese »conduite si étrange« des jungen Gatten unruhig zu werden. An seinem guten Willen ist nicht zu zweifeln, denn von Monat zu Monat zeigt sich der Dauphin seiner anmutigen Gattin immer zärtlicher zugetan, er erneuert unablässig seine nächtlichen Besuche, seine untauglichen Versuche, aber an der letzten entscheidenden Zärtlichkeit hemmt ihn irgendein »maudit charme«, eine geheimnisvolle fatale Störung. Die unbelehrte Antoinette meint, dies sei nur »maladresse et jeunesse«, nur Ungeschicklichkeit und Jugend; in ihrer Unerfahrenheit stellt sie, die Arme, sogar selbst die »üblen Gerüchte, die hierzulande über seine Unfähigkeit umgehen«, in entschiedene Abrede. Aber nun steckt sich die Mutter hinter die Sache. Sie läßt ihren Hofarzt van Swieten kommen und berät sich mit ihm über die »froideur extraordinaire du Dauphin«. Der zuckt die Achseln. Wenn es einem jungen Mädchen von solchem Liebreiz nicht gelinge, den Dauphin zu erhitzen, sei jedes medizinische Heilmittel ohne Wirkung. Brief auf Brief schreibt Maria Theresia nach Paris; schließlich nimmt König Ludwig XV., wohlerfahren und allzu geübt auf diesem Gebiete, seinen Enkel ins Gebet; der französische Hofarzt Lassone wird eingeweiht, der traurige Liebesheld untersucht, und nun stellt sich heraus, daß diese Impotenz des Dauphin keine seelisch bedingte sei, sondern auf einem unbedeutenden organischen Defekt (einer Phimosis) beruhe. »Quien dice que el frenillo sujeta tanto et prepucio que no cede a la introduccion y causa un dolor vivo en el, por el qual se retrahe S. M. del impulso que conviniera. Quien supone que el dicho prepucio esta tan cerrado que no puede explayarse para la dilatacion de la punta o cabeza de la parte, en virtud de lo que no llegua la ereccion al punto de elasticidad necessaria.« (Geheimbericht des spanischen Gesandten.) Jetzt folgt Konsilium auf Konsilium, ob der Chirurg mit dem Operationsmesser eingreifen solle, – »pour lui rendre la voix«, wie man in den Vorzimmern zynisch flüstert. Auch Marie Antoinette, von ihren erfahrenen Freundinnen inzwischen aufgeklärt, tut das möglichste, ihren Gatten zur chirurgischen Kur zu veranlassen. (»Je travaille à le déterminer à la petite opération, dont on a déjà parlé et que je crois nécessaire«; 1775 an ihre
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