Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
Plakate und Veranstaltungen, auch meine Pressefotos, und verlangte dafür kein Geld, sondern nur eine Nennung. 2010 geriet er mit meinem Vater in Streit, weil mein Vater für ein Shooting einen anderen Fotografen buchte, der mit den Bildern Geld verdiente. Zu Recht beschloss Andreas daraufhin, die Zusammenarbeit zu beenden.
Andreas erklärte vor Gericht, dass mein Vater drei Wochen vor dem Attentat bei ihm in seinem Atelier gewesen war. Dort hatte mein Vater erzählt, er habe sich bei der Familie im Libanon die Erlaubnis erbeten, mich umbringen zu dürfen. Andreas stellte sich dieser Wahrheit und beschönigte nichts.
In der Verhandlung kam unsere gesamte Familiengeschichte auf den Tisch. Die Zeitungen berichteten dann, was mein Vater dem Richter erzählte. »Ich konnte mit meiner Frau nicht mehr reden«, sagte er etwa. »Rola wollte, dass die Familie Kosta kennenlernt. Aber ich wollte ihn nicht kennenlernen. Das ist eine Charaktersache. Es gab immer nur Streit mit meiner Frau. Rola hat gedroht, sich umzubringen. Meine Frau schreit. Mein Sohn schreit.« Mein Vater machte mich also auch vor Gericht noch einmal für die Konflikte in unserer Familie und das Scheitern seiner Ehe verantwortlich. Der Gerichtspsychiater attestierte meinem Vater, es sei ihm bei der Tat um die Ehre gegangen, um seine und die Ehre der gesamten Familie. Über das Attentat meinte mein Vater, dass er zu mir in die Kabine gekommen sei, um mir zu helfen, um mir zu sagen: »Rola, Scheiße, was du gemacht hast, aber ich wünsche dir alles Gute.« Es sei der Sicherheitsmann der Konkurrenzfirma gewesen, der ihn aus der Fassung gebracht habe, da er mit ihm den lauten Streit auf dem Gang angefangen habe, den wir von der Kabine aus gehört hatten. Am Ende seiner Aussage behauptete mein Vater, er fände es »schrecklich, dass es so weit kommen konnte. Es hat allen geschadet. Bassam. Meiner Frau. Katja. Vor allem Rola.« Der Richter merkte hierbei an, dass mein Name erst ziemlich spät gefallen sei. Der Psychiater sagte, die ohnmächtige Wut meines Vaters, die letztendlich unsere Familie zerstört hatte, sei immer noch nicht ganz verraucht.
Wir als Nebenkläger forderten acht Jahre Gefängnis, die Staatsanwaltschaft sechs Jahre und zehn Monate. Kurz vor der Urteilsverkündung durfte mein Vater das letzte Wort haben. Ich war gespannt und hoffte, jetzt eine echte, eine ernsthafte Entschuldigung zu hören. Ein Wort der Reue. Wenn er seine Entschuldigung vom ersten Verhandlungstag ernst gemeint hätte, wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, mich davon zu überzeugen. Er meinte aber nur: »Nein, ich habe nichts zu sagen.«
Am 14. November 2011 wurde mein Vater wegen gefährlicher und schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen verurteilt – zu sechs Jahren Freiheitsstrafe und der Übernahme der Verfahrenskosten.
In der Urteilsbegründung betonte der Richter, wie eitel und selbstbezogen mein Vater war. Über unsere Vater-Tochter-Beziehung befand er: »Er hatte ihr Leben bestimmt, er war der Chef und Macher. Das ist gut gegangen, solange sich die Tochter nicht umschaute, was das Leben noch zu bieten hat.« Und obwohl mein Vater selbstmitleidig war, erkannte das Gericht die Reue meines Vaters an und wertete die Tatsache, dass er den Wachleuten, die er angeschossen hatte, Schmerzensgeld angeboten hatte, positiv. Der Richter sagte aber ganz klar: »Sie müssen sich von einem falschen Verständnis freimachen und Lehren ziehen.« Sonst werde mein Vater seine Strafe in voller Länge verbüßen müssen.
Nach der Urteilsverkündung lächelte mein Vater in die Runde. Er winkte seinen Freunden, die im Zuschauerbereich saßen, zu und verkündete der Presse, dass er das Urteil zu hart finde und eine Revision erwäge. Da wusste ich, dass die Entschuldigung vom ersten Tag rein gar nichts wert gewesen war. Ich hatte mich also nicht getäuscht. Er hatte sich nur scheinheilig im Gerichtssaal entschuldigt, um Strafminderung zu bekommen. Um mich ging es ihm nicht. Ich saß da und weinte, während er grinsend den Saal verließ.
Der Prozess war schmerzlich für mich, aber ich bin froh, dass ich ihn so weit wie möglich begleitet habe. Es war ein weiterer Schritt, um das Geschehene zu verarbeiten. Ich nahm in der ganzen Zeit keine psychologische Hilfe in Anspruch, sondern fand meinen eigenen Weg, mit der Situation umzugehen. Mir den Hund anzuschaffen war ein Teil dessen, den Prozess zu begleiten ein anderer. Er brachte mir eine gewisse Klarheit, über meinen Vater und über
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