Stehaufmädchen: Wie ich mich nach dem Attentat meines Stiefvaters zur Boxweltmeisterschaft zurückkämpfe (German Edition)
andere Menschen aus unserer Nähe.
Das Urteil scheint mir für das, was mein Vater getan hat, sehr mild. Ich hätte mir gewünscht, dass er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wird. Aber ob es nun sechs Jahre sind, die mein Vater absitzen muss, oder zehn Jahre – ein gerechtes Urteil hätte es in meinen Augen für seine Tat ohnehin nicht gegeben. Egal, welches Urteil ergangen wäre, an meiner Verfassung hätte es nichts ändern können, das Geschehene wäre nicht ungeschehen gemacht worden. Bei einer härteren Strafe hätte ich vielleicht etwas mehr Sicherheit gehabt. Zehn Jahre Gefängnis, da hätte ich davon ausgehen können, dass er die nächsten sieben oder acht Jahre sitzt und in dieser Zeit sicher nicht mehr in meinem Leben auftauchen kann. Bei einem Urteil von sechs Jahren kann es sein, dass er bei guter Führung nach vier Jahren draußen ist, von denen jetzt schon zwei vergangen sind. Noch vor meinem 30. Geburtstag könnte mein Vater wieder auf freiem Fuß sein. Ein paar Jahre mehr Sicherheit hätten mir gutgetan und mir geholfen, meine Zukunft angstfrei und mit noch mehr Zuversicht zu gestalten.
Dass mein Vater seine gerechte Strafe von Gott bekommen wird, davon bin ich überzeugt. Auf dieser Welt gibt es keine gerechte Strafe für das, was er getan hat. Ich will keine Rache. Weil ich glaube, dass er seine richtige Strafe erst noch von höherer Stelle bekommen wird. Was er jetzt absitzt, ist in meinen Augen keine schlimme Strafe. Er muss sich keine Sorgen darum machen, wer seine Krankenversicherung und seine Miete bezahlt, er bekommt sein Essen und hat alles, was er braucht. Wir, seine Familie, sind es doch, die gestraft sind. Wir sind es, die zusehen müssen, wie wir jetzt über die Runden kommen.
Auf den Tisch hauen
Ich bin Rola, die auf den Tisch haut. Schluss jetzt mit den Enttäuschungen und der Jasagerei. Das bin ich nicht mehr, das kleine Sensibelchen aus der ersten Klasse, auf dem alle herumhacken können. Ich bin auch nicht die Tochter meines Vaters, die zu jedem seiner Befehle Ja und Amen sagt. Aus. Vorbei. Neues Leben. Andere Rola.
Die Wochen der Isolation haben mir nicht nur gezeigt, dass ich von den Menschen nicht zu viel erwarten darf. Ich habe auch gelernt, von mir selbst mehr zu erwarten, mehr Kraft, mehr Stärke, mehr Auftreten, mehr Professionalität. Mein Team ist mein Team und nicht mehr meine Ersatzfamilie, ich bin Geschäftsfrau und Chefin. Das lerne ich gerade: Chefin sein. Mich im Team durchzusetzen und die Menschen dazu zu bringen, meine Grenzen nicht nur zu sehen, sondern auch zu respektieren.
Es fällt mir immer noch schwer. Menschen reden auf mich ein und beteuern, dass sie nur mein Bestes wollen. Sie geben mir Ratschläge, die auch wirklich gut gemeint sind, aber ich weiß auch: Wenn ich meinen Comeback-Kampf verlieren sollte, sind genau diese Leute die Ersten, die wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Es müsste nicht so sein. Klarheit und Ehrlichkeit kann es auch im Geschäftsleben geben. Manche sagen mir sehr deutlich, dass sie nicht mehr mit mir arbeiten wollen, weil sie auf der Seite meines Vaters sind. Das ist für mich in Ordnung. Mein Hauptsponsor Dolobene steht weiterhin zu mir und bezahlt seit Monaten, was in den Verträgen festgehalten ist – ohne dass er in meiner Reha-Zeit irgendetwas davon hatte. Er hält sein Wort, und dafür bin ich sehr dankbar.
Ich will ehrlich sein und nicht schauspielern müssen. Die Menschen sollen sehen, wer ich bin und wie es mir wirklich geht. Jeder weiß, was mir passiert ist, aber keiner kann sich vorstellen, was ich immer noch durchmache. An jedem einzelnen Tag. Was ich mir alles anhören muss und gefallen lassen soll und dabei immer gute Miene machen und gute Laune haben soll, davon haben die Menschen keine Vorstellung. Und doch wundern sie sich, wenn sie nicht durch meine Mauer kommen, niemand mehr ganz zu mir durchdringt. Die nette Rola, die immer lächelt, will ich nicht mehr sein. Ich bin härter geworden, kälter und konsequenter. Wenn jemand Mist erzählt, sage ich es ihm. Direkt. Wenn es mir an einem Tag schlecht geht, geht es mir schlecht, und wenn es mir gut geht, geht es mir gut. Wer das nicht respektiert, kann nicht mit mir arbeiten. Kein Mensch kann mir vorschreiben, wie es mir zu gehen hat und wie ich mich zu verhalten habe. Nie wieder.
Ganz ehrlich: Ich bin wirklich froh, dass mir passiert ist, was mir passiert ist. Es hat mir die Augen geöffnet. Ich war zuvor in einer rosaroten Traumwelt, in der
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