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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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scheibchenweise ins Essen gewandert sind.
    Auf meiner Runde durch Beuel entdecke ich ein Sanitätsgeschäft. Eine künstliche Hand liegt im Schaufenster. Gehe ins Geschäft und frage sicherheitshalber schon mal nach dem Preis.
    Abends spreche ich Bolten auf meinen Lehrvertrag an. Bolten meint, so ein Lehrvertrag schreibt sich nicht mal eben so. Das sei schließlich ein sehr komplexes Schriftstück. Mein Vertrag muss wohl den Umfang der Luther-Bibel haben.
6. November 1977
    6 Uhr. Zuverlässig geweckt worden. Um den Familienfrieden nicht weiter zu gefährden, habe ich auf den Staubsauger verzichtet und stattdessen eine Schlagbohrmaschine genommen. Trotzdem große Diskussion am Küchentisch.
    Im Restaurant nichts Besonderes. Ringfingerkuppe weg. (Wahrscheinlich im Salat) Lehrlingsvertrag fast fertig. In derPause setz ich mich auf eine Bank und male aus dem Kopf einen Stadtplan Beuels.
7. November 1977
    Frei! Schlafe den ganzen Tag. Abends bin ich putzmunter und kann nicht einschlafen.
8. November 1977
    7 Uhr. Verschlafen. Meine Bohrmaschinen-Weck-Konstruktion wurde sabotiert! Habe meine Familie in Verdacht. Danke! Ein bisschen Rücksicht könnte man ja schon auf meine Situation nehmen. Schlafe im Bus ein. Werde gerade noch rechtzeitig wach, um auszusteigen. Schleiche in die Küche und fange mechanisch an, Speck zu schneiden, bis mich ein fremder Mann fragt, was ich denn da tue. Schaue mich um. Bin im falschen Restaurant. Entschuldige mich und gehe. Draußen kommt mir plötzlich alles fremd vor. Schaue auf meinen selbstgemalten Stadtplan, kann mich trotzdem nicht orientieren. Latsche durch die Gegend, bis ich vor dem Kölner Dom stehe. Muss wohl im Tran heute Morgen in den falschen Bus gestiegen sein.
    Im Haus am Rhein gibt‘s Ärger. Ob ich meine Arbeitszeiten nicht kennen würde. Die stünden schließlich im Lehrvertrag. Entgegne, dass ich ja noch keinen habe. Der sei in Arbeit, ich müsste mich noch etwas gedulden. Frage mich, ob Bolten den Vertrag mit der Hand schreibt oder in Stein meißelt.

18. November 1977
    Habe mich verändert. Das Essen schmeckt mir nicht mehr und ich habe Angst zu vereinsamen. Meine mangelnde Freizeit macht es unmöglich, mich mit jemandem zu verabreden. Um morgens zehn Minuten länger schlafen zu können, trink ich meinen Kaffee unter der Dusche stehend. Der Lehrvertrag soll bald fertig sein.
22. November 1977
    Die Familie zwingt mich, eine neue Weckkonstruktion zu testen. Staubsauger und Bohrmaschine sind passé. Greife auf ein lautloses Gerät zurück, das ich an meine Zeitschaltuhr anschließen kann. Einen Lötkolben, den ich in die Socken stopfe, die ich mir vor dem Zubettgehen anziehe. Hoffe, durch die Wärme an meinen Füßen angenehm, aber trotzdem zuverlässig geweckt zu werden. Es funktioniert. Ziehe mir erhebliche Verbrennungen zu, aber die Familie ist zufrieden.
23. November 1977
    Unter der Dusche eingeschlafen. Fast ertrunken. Muss sicherheitshalber ab morgen kalt duschen.
24. November 1977
    Kalt geduscht. Trotzdem wieder unter der Dusche eingeschlafen.
25. November 1977
    Morgendliche Dusche eingestellt. Zu gefährlich. Kann weitere zehn Minuten länger schlafen. Wenn ich in Klamotten schlafe, sogar zwölf!
8. Dezember 1977
    Entfremde mich immer mehr. Heute Morgen Mama gefragt, wer sie sei. Mama ist besorgt und will mit mir reden. Vereinbaren einen Treffpunkt mittags in Beuel. Wir reden und ich zeige ihr die Stadt. Mama ist beeindruckt von meinen Ortskenntnissen. Überlege, auf Fremdenführer umzusatteln.
24. Dezember 1977
    Heiligabend. Soll mein Können unter Beweis stellen und das Festmahl zubereiten. Abends sitzen wir zusammen und essen. Alles schmeckt irgendwie nach Zwiebeln. Selbst der Pudding.Stimmung gedämpft. Packe mein Päckchen aus (Kochmütze) und gehe um neun ins Bett.
31. Dezember 1977
    Beschwere mich über die Ballerei, die nachts draußen stattfindet. Werde zunehmend aggressiv.
15. Januar 1978
    Es ist so weit! Heute darf ich was kochen. Nehme eine Pfanne und verbrenne mir am glühendheißen Pfannenstil die Hand. Alle lachen. Bin den Tränen nah. Bolten erklärt, man würde Pfannen mit heißem Stil daran erkennen, dass sie mit Mehl gekennzeichnet sind. Greife zu einer nicht mit Mehl gekennzeichneten Pfanne und verbrenne mir die andere Hand. Alle lachen. Reingelegt! Spaßvögel ...
    In der Mittagspause gehe ich durch Beuel und ziehe ein Resümee. Bis auf die Fingerkuppen meiner linken Hand, die in den Mägen irgendwelcher ahnungslosen Touristen verdaut wurden,

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