Stehaufmaennchen
Setze vorschriftsmäßig den Blinker und biege, nachdem ich die Geschwindigkeit gedrosselt habe (Schulterblick), rechts ab. Dann bleibe ich stehen. Vor uns weist Schild Nummer 250 darauf hin, dass ein Durchfahrtsverbot für Kraftfahrzeuge aller Art gilt. Darunter nimmt Zusatzschild Nummer 1024/17 landwirtschaftliche Fahrzeuge von diesem Verbot aus. Wir dürfen also nicht abbiegen. Der Traktor hätte gedurft. Nur gewollt hat er nicht. Mein Fahrlehrer seufzt. Schilling zerrt an seiner Krawatte herum und fordert mich mürrisch auf, die Fahrt fortzusetzen. Blinker links, Spiegel links, Schulterblick und wieder zurück auf die Landstraße.
Nach einer knappen Minute fahren wir wieder hinter dem Traktor her. Aber nicht direkt. Denn zwischen uns und dem Traktor fährt nun ein anderer PKW. Fahrschule. Aha, ein Kollege! Halte Sicherheitsabstand und fahre hinterher. Drei weitere Kilometer Schleichfahrt später macht uns Zusatzschild 1049/11 darauf aufmerksam, dass ab hier Traktoren überholt werden dürfen. Schilling fragt gereizt, worauf ich denn warte. Der Traktor könnte doch jetzt überholt werden. Der Traktor schon, aber vor uns fährt kein Traktor, sondern ein PKW. Und der müsste ja erst mal den Traktor überholen, bevor ich laut StVO befähigt bin, dasselbe zu tun. Schilling schweigt und nestelt heftig an seiner Krawatte herum. Ich glaube, ich hab ihn beeindruckt.
Der PKW vor uns macht die nächsten Kilometer keinerlei Anstalten, einen Überholvorgang einzuleiten. Schilling trommelt immer lauter auf sein Klemmbrett und meint, ich könnte doch mal ein Signal mit der Lichthupe geben. Die Strecke sei schließlich frei. Vielleicht würde mein Vordermann im Gegensatz zu mir den entgegenkommenden Verkehr nicht überblicken können. Schillings Idee ist im Ansatz nicht schlecht, kollidiert aber mit Paragraph 16 der Straßenverkehrsordnung, die vorschreibt, dass Schall- und Leuchtzeichen nur derjenige geben darf, der außerhalb geschlossener Ortschaften überholen möchte oder sich und andere gefährdet sieht. Ich darf meinen Vordermann aber nicht überholen. Und Gefahr liegt auch nicht vor. Also scheidet die Betätigung der Lichthupe aus. Fahre weiter und schaue in den Rückspiegel. Schillings Krawattenknoten ist nur noch in Fragmenten vorhanden.
Schließlich hält mein Vordermann an. Jetzt stünde einem ordnungsgemäßen Überholvorgang nichts mehr im Wege. Allerdings dürfen Traktoren laut Paragraph 39 der Straßenverkehrsordnung nur dann überholt werden, wenn sie nicht schneller als 25 Stundekilometer fahren. Die Tachonadel zeigt aber 26. Es geht nämlich bergab und der Traktor nimmt Fahrt auf. Reagiereordnungsgemäß und vergrößere meinen Sicherheitsabstand auf dreizehn Meter. Dann geht‘s bergauf. Der Traktor wird langsamer. Doch auch jetzt darf ich nicht überholen, denn nach Paragraph 5 Absatz 2 darf nur der überholen, der übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Da ich nicht sehen kann, ob mir hinter der Kuppe einer entgegenkommt, kann ich nicht ausschließen, den Gegenverkehr zu behindern. Mir sind also die Hände gebunden und ich schleiche weiter hinter dem Traktor her, bis Schilling mich energisch auffordert, rechts ranzufahren. Ich mache ihn gerade darauf aufmerksam, dass die Bankette nicht befahrbar sind, als er losbrüllt, das sei ihm scheißegal. Ich solle jetzt rechts ranfahren, und wenn die Scheißkarre dabei im Acker versinkt.
Halte an. Schilling steigt aus und tritt wütend gegen ein Schild. (Zeichen 140: Viehtrieb) Bin stark verunsichert. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Mein Fahrlehrer und ich steigen ebenfalls aus. Schillings Krawattenknoten hat sich nun vollends aufgelöst. Ihm scheint aus irgendeinem Grund der Kragen geplatzt zu sein. Will ihn gerade fragen, welchen Fehler ich gemacht habe, als er wortlos meinen Führerschein aufs Autodach knallt. Hurra! Ich habe ihn! Mein Fahrlehrer gratuliert.
Dann machen wir uns auf den Rückweg. Will mich gerade hinters Steuer setzen, als Schilling mich zur Seite drängt und sich auf den Fahrersitz wirft. Er hätte es eilig. Der nächste Prüfungstermin sei bereits vor fünf Minuten gewesen, und er wäre noch nie zu spät gekommen. Der Fahrlehrer und ich steigen ein. Schilling rast los und prompt mit 150 in eine Radarfalle (Baustellenbereich – Tempo dreißig). Ich weiß, dass er damit seinen Führerschein los ist, halte aber lieber den Mund.
Hoffe für ihn, dass er einen ruhigeren
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