Stehaufmaennchen
ihrem eigenen Parfum ertränkt hat. Schleiche mich durch den Flur und werfe einen Blick in die Küche. Elfi sitzt mit dem Rücken zu mir. Die Füße auf dem Tisch. Ihr gegenüber sitzen zwei schwitzende Männer. Auf dem Tisch liegt eine Broschüre. Der Wachtturm . Aha. Zeugen Jehovas. Elfi schenkt gerade ihr Likörchen aus, als einer der Männer mich flehend anblickt. So hatten sie sich den Teufel offensichtlich nicht vorgestellt. Ich lege den Finger auf die Lippen und schleiche mich raus.
Draußen atme ich auf. So muss sich der Graf von Monte Christo gefühlt haben, nachdem ihm die Flucht gelungen war. Im Auto muss ich an die Zeugen Jehovas denken und was Elfi gerademit ihnen anstellt. Das kann ich nicht zulassen. Entschlossen fahre ich zur nächsten Telefonzelle und informiere die Feuerwehr über einen Brand in Elfis Haus. Erst als ich das Martinshorn höre, bin ich beruhigt. Beschließe für heute Feierabend zu machen. Um auf schönere Gedanken zu kommen, schaue ich mir am Abend einen Horrorfilm an.
39. Krank
1. September 1987
Schwarzen Fleck am linken Fuß entdeckt. Mir vorher nie aufgefallen. Werd ihn mal beobachten.
2. September 1987
Der Fleck ist noch da.
3. September 1987
Der Fleck ist immer noch da. Versuche, den Fleck mit einem Lineal auszumessen, um zu sehen, wie groß er ist und ob er wächst. Ziehe mir bei dem Versuch, den Fuß an mich ranzuziehen, eine Verrenkung im Lendenwirbelbereich zu. Sehr schmerzhaft. Trotzdem gelingt es mir, den Durchmesser des Flecks auszumessen. Zwei Millimeter.
4. September 1987
Zwei Komma eins Millimeter! Richtig genau kann man es zwar nicht messen, aber rein optisch kommt mir der Fleck schon wesentlich größer vor als gestern. Bin beunruhigt.
5. September 1987
Überlege, zum Hausarzt zu gehen. Verwerfe den Gedanken wieder. Wer weiß, ob ein normaler Hausarzt so einen Fleck überhaupt richtig diagnostizieren kann? Wenn es jetzt was Schlimmeres ist, nur mal theoretisch, und der Arzt sagt, ach Herr Profitlich, das ist nur ein Fleck, wieg ich mich infalscher Sicherheit und verliere kostbare Zeit zur Behandlung meiner Krankheit. Sollte vielleicht direkt zu einem Spezialisten.
6. September 1987
Suche in den Gelben Seiten nach einem Facharzt für schwarze Flecken am Fuß. Nichts. Ich wohne im falschen Land. In Amerika gäbe es bestimmt für jede Art Fleck einen Spezialisten. Bin ratlos. Meine Stimmung lässt deutlich nach.
7. September 1987
Habe mir Fachliteratur besorgt. Den Pschyrembel , ein klinisches Wörterbuch mit über 2 000 Seiten. Darin findet man alle Krankheiten dieser Welt. Vertiefe mich in das Werk und bin entsetzt. Nach den ersten fünfzehn Seiten fühl ich mich hundeelend. Würde gerne mit jemandem über meinen Befund reden, aber was ist, wenn es was Ansteckendes ist? Irgendwas Tropisches? Ebola? Das kann ich meinen Freunden doch nicht antun!
8. September 1987
Bin erleichtert. Ebola scheidet aus. Mein Fleck könnte aber eine Primäreffloreszenz sein. Oder sogar eine Sekundäreffloreszenz. Dann wäre es wahrscheinlich schon zu spät. Rechne mit dem Schlimmsten.
9. September 1987
Ich sollte einen Dermatologen aufsuchen. Denn mein Pschyrembel hat mir verraten, dass ein Fleck auf der Haut mit großer Wahrscheinlichkeit das Symptom einer Hautkrankheit ist (Pocken und Pest mal ausgenommen). Darüber hinaus hat mir der Pschyrembel noch verraten, dass es hunderte Hautkrankheiten gibt. Eine ekelhafter als die andere und viele davon tödlich. Macht da ein Dermatologe überhaupt noch Sinn? Will ich dieharte Wahrheit aus dem Munde eines mir fremden Dermatologen erfahren? Und wozu? Ich ahne sie doch bereits.
10. September 1987
Der Fleck ist auf monströse drei Millimeter angeschwollen. Es geht dem Ende zu.
11. September 1987
Frage mich, wie es ist, zu sterben. Sieht man ein Licht? Läuft das Leben noch mal schnell an einem vorbei – und wenn ja, kann ich anhalten und noch mal zurückspulen, wenn ich was verpasst habe? Und was ist mit den Teilen des Lebens, die nicht so toll waren? Kann man die überspringen?
12. September 1987
Setze mein Testament auf. Gerate fast mit mir selbst in Streit über die Frage, ob Peter meine Suzuki kriegen soll, oder Klaus. Wenn ich schon Streit mit mir selbst bekomme, wie werden sich da erst meine Erben die Köpfe einhauen, wenn mein Testament nicht ordnungsgemäß verfasst ist? Muss einen Notar aufsuchen, um alles hieb- und stichfest zu machen. Verfüge weiterhin, dass von den hunderten Trauernden, die um mein Grab stehen, keiner
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