Stehaufmaennchen
einer Currywurst identifizieren. Sage aber nix, sondern bestelle die Nierchen. Beim Essen sage ich immer wieder laut, wie lecker sie sind unddass ich mich super mit ihnen identifiziere. Der Seminarleiter schaut mich nachdenklich an.
Am Nachmittag ist Praxis. Wie man am besten mit Neukunden in Kontakt tritt. Im Schulungsraum steht ein Türrahmen. Ich soll mal so tun, als ob ich Tiefkühlkost verkaufen möchte. Ein anderer Schulungsteilnehmer, Gerd mit Poloshirt, soll den Kunden spielen. Ich tue so, als ob ich klingele, und sage laut »bim bam«. Erstes Gekicher aus dem Seminarraum. Gerd öffnet. Ich frage ihn, ob er Tiefkühlkost möchte. Gerd sagt ja und ich sage prima. Ende. Erwartungsvoll schauen wir den Seminarleiter an. Der Seminarleiter meint, es wäre schon viel Gutes daran, aber die Realität sehe doch etwas anders aus. Klar. In der Realität würde eine Frau einem die Tür öffnen. Wir haben aber keine Frau im Kurs. Gerd fragt, ob es helfen würde, wenn er sich Orangen ins Poloshirt steckt. Gekicher. Der Seminarleiter wird etwas unsicher und schlägt vor, noch mal zu üben – ohne Orangen, aber mit vertauschten Rollen. Und wenn es uns helfen würde, könnten wir uns ja vorstellen, dass ich eine Frau sei.
Ich geh hinter die Tür. Gerd macht bim bam. Ich öffne nicht. Gerd macht noch mal bim bam. Das Gekicher wird lauter. Der Seminarleiter fragt, was los sei. Um das Verkaufsgespräch möglichst realistisch zu gestalten, hab ich mir vorgestellt, ich sei Tante Gerda. Und die ist nun mal schwerhörig. Der Seminarleiter stöhnt. Ich soll mir eben vorstellen, ich hätte ein tolles Hörgerät und deshalb die Klingel gehört. Okay. Bim bam. Ich reiße die Tür auf und brülle Gerd aus vollem Hals an. Gerd kriegt Angst und weicht einen Schritt zurück. Der Seminarleiter fragt, warum ich denn so schreien würde. Antworte, dass Tante Gerda das auch immer so macht. Selbst mit Hörgerät. Darf weitermachen. Ich nähere mich auf zehn Zentimeter Gerds Gesicht (Tante Gerda ist kurzsichtig) und brülle ihn erneut an. Nicht ohne ihm vorher aufs Poloshirt zu sabbern. Wie Tante Gerda. Diesmal bleibt Gerd eisern. Er hat in Theorie gut aufgepasst, denn er rasselt dasgesamte Bofrost Sortiment herunter. Spinat. Ich schüttle den Kopf. Erbsen. Nein. Möhren. Nein. Als Gerd bei den Kuchen angekommen ist (Erdbeersahneschnitten mit fruchtiger Cremefüllung) und ich wieder den Kopf schüttle, gibt er auf. Er kann ja auch nicht wissen, dass Gerda wegen ihrer Galle nur Haferschleimsüppchen essen darf. Und die gibt es bei Bofrost nicht. Lautes Lachen aus dem Seminarraum. Fühle mich gut, denn ich bin mittlerweile sehr beliebt bei den Teilnehmern. Nicht aber beim Seminarleiter. Mit rotem Kopf verlässt er den Seminarraum.
Gerd und ich wollen die wertvolle Schulungszeit nicht ungenutzt verstreichen lassen und üben weiter. Diesmal schlüpft Gerd in die Rolle einer zwanzigjährigen notgeilen Blondine, die mir unbedingt an die Wäsche will. Das Verkaufsgespräch macht einen Riesenspaß. Die Klasse biegt sich vor Lachen. Gerade als Gerd mir mein Hemd aufreißt und ich laut »Mon amie! Mach mir den Seelachs!« brülle, stürmt der Seminarleiter mit einem Kollegen in den Raum. Sie schauen uns streng an und verkünden, dass sie uns aus Gründen der Zeitersparnis ein typisches Verkaufsgespräch vorspielen wollen.
Auftritt Seminarleiter: Bim bam. Gekicher. Böser Blick des Seminarleiters. Stille. Der Kollege öffnet die Tür. »Sie wünschen?«
»Einen wunderschönen guten Tag. Mein Name ist Sprünger. Ich komme von der Firma Bofrost und möchte Ihnen einmal unverbindlich unser Produktsortiment vorstellen.«
»Wie interessant!«
»Besonders möchte ich Sie natürlich auf unsere Sonderangebote aufmerksam machen.«
Der Seminarleiter unterbricht und erklärt, dass insbesondere der Verkauf von Sonderangeboten wichtig sei, da es sich dabei um Produkte handelt, deren Produktion demnächst ausläuft. Zeige auf und frage, wie ein Bofrost-Produkt auslaufen kann. Es sei doch tiefgekühlt. Gekicher. Im Verlauf des weiteren Verkaufsgespräches kauft der Kunde Berge von Tiefkühlkost. Gut für den Verkäufer, denn er würde jetzt eine satte Provision kriegen. Nach dem Seminar gehe ich mit meinen Kollegen in die Pommesbude. Bei Currywurst und Dosenbier feiern wir den Einstand in die Welt des Tiefkühlkostbusiness.
27. März 1987
Reihenhaussiedlung. Ich klingele an der Tür eines Einfamilienhauses. Eine Frau Mitte vierzig öffnet. Ich lass meinen ersten
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