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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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weinen darf.
    Denke kurz nach und streiche den letzten Satz wieder.
13. September 1987
    Nehme Abschied. Ziehe mich am Abend für meine letzten Stunden mit einer Flasche Whisky an einen Baggersee zurück. Ich trinke, und die Lebenskräfte schwinden. Es wird schwarz.
14. September 1987
    Vernehme Vogelgezwitscher. Gibt es Vögel in der Hölle? Nein. Bin im Paradies! Schlage die Augen auf und bekomme augenblicklichhöllisch Kopfweh. Mein Blick fällt auf die leere Whiskyflasche. Liege immer noch am Baggersee. Werde wütend. Warum muss ich so lange leiden? Ziehe mir die Schuhe und Socken aus, um den Grund meines Dahinscheidens ordentlich zu beleidigen. Ich schreie auf meinen Fleck ein, als dieser plötzlich abfällt und wegkrabbelt. Nehme den tödlichen Fleck in die Hand und stelle fest, dass es sich um eine Zecke handelt. Bin erleichtert und lache laut los. Nicht lange, wegen der Kopfschmerzen.
15. September 1987
    Fühle mich wie neugeboren! Eine blöde Zecke! Ha! Dann stutze ich und schlage im Pschyrembel unter Zeckenbiss nach. Bin entsetzt, denn das, was ich lese, bedeutet, dass ich augenblicklich handeln muss!
16. September 1987
    Beerdigung. Feierlich verabschiede ich mich von meinem Pschyrembel und verbrenne ihn am Baggersee. Friede seiner Asche.

40. Einen Baum fällen
4. Juli 1988
    Hab seit ein paar Wochen wieder einen neuen Job. Landschaftsbauer. Den hatte ich noch nicht. Wenn ich so weitermache, hab ich bald alle Jobs der Welt durch. Entweder, ich fange dann wieder von vorne an, oder jemand erfindet neue Jobs für mich. Mal sehen ...
    Ein Landschaftsbauer baut keine Landschaften, wie der Name vermuten lassen würde, sondern macht sie eher kaputt. Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus, denn mein erster eigener Auftrag ist das Fällen zweier Bäume. Mein Chef gibt mir noch mit auf den Weg, dass ich aufpassen soll, der Betrieb sei zwar versichert, aber Vorsicht sei die Mutter und so weiter. Jaja ... Klar ... Steige in unseren Firmenwagen, einen kleinen Suzuki-Jeep, und mache mich auf den Weg zu unserem Kunden.
    Um Platz für Gemüsebeete zu schaffen, soll ich zwei große Birken aus dem Garten eines Rentners entfernen. Das Fällen eines Baumes sieht im Fernsehen sehr einfach aus. Man haut ein paarmal die Axt in den Stamm, dann ruft man »Timber!« als Warnung, dass jetzt ein Baum fällt, und schaut anschließend mit coolem Clint-Eastwood-Blick zu, wie der Baum krachend umfällt. Hab ich in einer Dokumentation über kanadische Baumfäller gesehen. Setze meinen Clint-Eastwood-Blick auf und haue die Axt in den Stamm der ersten Birke. Ein bisschen Borke fällt ab. Rufe »Timber!« und warte, bis der Baum fällt. Zwei Minuten später steht die Birke immer noch. Vielleicht muss man ein bisschen fester zuhauen. Schlage zu. »Timber!«
    Nichts. Nach fünf weiteren »Timber!« bekomme ich Zweifel, ob ich es tatsächlich mit einer Birke zu tun habe, oder eher mit einem als Birke getarnten mexikanischen Guajak-Baum. Dessen Holz ist nämlich so hart, dass man Eisensägen braucht, um Bretter aus seinem Stamm zu fertigen. Haue noch mal zu. Diesmal richtig mit Schmackes. Die Schneide dringt etwas tiefer ins Holz ein. Will die Axt wieder rausziehen und renke mir dabei fast die Schulter aus. Die Axt sitzt bombenfest im Stamm. Zerre wie bekloppt, doch der Baumstamm gibt keinen Millimeter meines Werkzeugs freiwillig wieder her. Dann eben anders! Schmeiße die Kettensäge an. Ein Gefühl der Macht durchströmt meinen Körper. Schaue die Birke an. Glaube fast zu sehen, wie sie vor Angst zittert. Erbarmungslos setze ich die Säge an und bleibe sofort stecken. Wup! Motor abgewürgt. Schaue wieder die Birke an. Sie zittert immer noch. Aber wahrscheinlich nicht vor Angst, sondern wegen eines Lachanfalls. Kurz über der Axt steckt jetzt die Kettensäge fest. Hat irgendwie einen Hang zur Selbstbereicherung, dieser Mist-Baum. Bin gereizt. Werfe die Kettensäge wieder an und gebe Vollgas. In einem Regen von Sägespänen kann ich die Säge befreien. Das letzte Stündlein der Birke hat geschlagen. Begeistert zerspane ich den widerspenstigen Stamm. Ich gerate dermaßen in einen Kettensägenrausch, dass ich überhaupt nicht bemerke, wie der Baum umkippt. Schalte die Kettensäge aus und rufe schnell noch »Timber!« hinterher. Dann betrachte ich mein Werk. Die Birke ist in ihrer kompletten Länge sauber umgekippt. So, wie ich es geplant hatte. Nur nicht in die Richtung, die ich geplant hatte. In Kanada wäre das egal, in welche Richtung ein

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