Stehaufmaennchen
Sachbearbeiter verbinden, dann können Sie telefonisch mit ihm einen Termin machen.«
Warte auf die Verbindung. Nichts passiert. Nach einer Weile meldet sich die Frau.
»Soll ich Sie denn jetzt verbinden?«
Die Frau verfügt wirklich über ein immenses Maß an Entschlusskraft.
»Ja, bitte verbinden Sie mich.«
»Haben Sie denn einen Telefontermin?«
»Nein!«
»Dann kann es aber sein, dass Sie etwas warten müssen. Denn die Termine werden ja extra gemacht, um die Wartezeit zu verkürzen. Wenn Sie jetzt aber keinen Termin haben ...«
»Bitte verbinden Sie mich! Ich habe Zeit!«
»Augenblick.« Kurze Pause, dann: »Ich verbinde Sie jetzt.«
Sie schafft es tatsächlich, denn es macht krack in der Leitung und eine Bandstimme ertönt: »Bitte warten ... bitte warten ... bitte warten ...«
Frage mich, ob die beim Amt befürchten, ihre Anrufer könnten ohne diese Ansage einfach mit dem Warten aufhören. Nach zwanzig Minuten meldet sich wieder die junge Frau. Sie klingt etwas aufgelöst.
»Es tut mir furchtbar leid, aber ich erreiche den Sachbearbeiter nicht. Vielleicht ist er schon zu Tisch. Wir machen nämlich um zwölf Uhr dreißig Mittagspause. Was machen wir jetzt bloß?«
Schaue auf die Uhr. 12 Uhr 31. Will ihr gerade sagen, dass ich später noch mal anrufe, als sie eine Idee hat.
»Wissen Sie was? Ich versuch es einfach noch mal! Augenblick bitte.«
Man kann über die Frau denken, was man will. Sie mag etwas begriffsstutzig sein, aber hilfsbereit ist sie auf alle Fälle. Prompt höre ich wieder die Stimme, die mich ermuntert zu warten. Warte aber nicht, sondern gehe zum Arbeitsamt. In der Kantine treffe ich meinen Sachbearbeiter. Innerhalb von zwei Minuten habe ich einen Termin für acht Uhr am nächsten Tag. Als ich wieder zuhause bin, leiert die Bandstimme immer noch ihr Mantra aus dem Hörer. Will gerade auflegen, als die junge Frau sich wieder meldet. Diesmal ist sie regelrecht aufgewühlt.
»Hören Sie? Ich bin total verzweifelt! Ich erreiche einfach niemanden! Im ganzen Haus nicht!«
Ich rede beruhigend auf die Frau ein und gebe ihr den Tipp, mal in die Kantine zu gehen. Sie verabschiedet sich dankbar und legt auf. Frage mich, wie weit es diese Frau in ihrem Job wohl bringen wird. Wahrscheinlich sehr weit.
21. Mai 1989
Sitze kurz vor acht im Arbeitsamt. Der Flur ist gerammelt voll mit Wartenden. Alle haben Wartemarken in den Händen. Ich nicht, denn wenn man einen Termin hat, braucht man keine Wartemarke, sondern wird direkt aufgerufen. Im Flur gegenüber erkenne ich einige der Menschen wieder, die ich bei dem Intermezzo vorgestern dort kennen gelernt habe. Frage mich, ob sie wieder hier sind oder noch .
Punkt acht kommt der Sachbearbeiter und schließt sein Büro auf. Stehe auf, um ihm zu folgen. Zeitgleich steht eine punkig gekleidete Frau auf, mit der ich an der Tür fast zusammenpralle. Sie hält eine Wartemarke in der Hand und keift mich an, dass ich mich verpissen solle, sie sei jetzt dran. Der Sachbearbeitererklärt ihr, dass ich einen Termin hätte. Da bräuchte man keine Wartemarke. Die Frau wird sauer und krakeelt laut rum. Begriffe fallen wie »Zweiklassen-Gesellschaft«, »Staatswillkür« und »Psychofolter«. Andere Wartende kommen hinzu. Eine heftige Diskussion über Sinn und Unsinn der Wartemarkeneinrichtung entbrennt. So ähnlich muss die Französische Revolution begonnen haben. Bevor die ersten Guillotinen aufgebaut werden, schiebe ich meinen Sachbearbeiter mit sanftem Druck in sein Büro und schließe die Tür. Endlich Ruhe. Wir setzen uns und ich äußere meinen Wunsch nach einer beruflichen Veränderung. Ob ich schon mal an eine Ausbildung gedacht hätte. Erwähne meinen Ausflug in die Gastronomie und erzähle, dass ich seit dem Abbruch meiner nicht begonnenen Kochlehre nicht mehr dazu gekommen sei, über eine Ausbildung nachzudenken. Musste ja immer arbeiten. Aber jetzt könnte ich mir eine Ausbildung gut vorstellen. Zum Beispiel eine Schreinerlehre. Das würde mir liegen.
»Was Ihnen liegt, können Sie gar nicht beurteilen. Dazu muss man erst mal ein Profil erstellen. Wenn wir so eine Ausbildung bezahlen, müssen wir schließlich sicher sein, dass die Menschen in dem Beruf auch glücklich sind und ihn zufriedenstellend ausüben können. Erst gestern hatten wir einen, der unbedingt Sozialpädagoge werden wollte. Sein Profil ergab aber, dass er für einen anderen Beruf viel besser geeignet ist. Und jetzt raten Sie mal, welche Ausbildung der Mann demnächst macht?«
Zucke
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