Steife Prise
wenn man es sich nur irgendwie zunutze machen könnte!«, sagte Volker bewundernd. »Und ich erinnere mich daran, irgendwo gelesen zu haben, dass Ihr sogar die Götter hinter Schloss und Riegel bringen würdet, wenn sie etwas Unrechtes getan hätten.«
Mumm schüttelte den Kopf. »Nein, so etwas habe ich bestimmt nicht gesagt! Aber das Gesetz ist Ordnung, und die Ordnung ist Gesetz, und nichts und niemand darf darüberstehen. Nach diesem Grundsatz funktioniert nicht nur die Welt, sondern auch der Himmel, und ohne Ordnung, mein Junge, kann eine Sekunde nicht der anderen folgen.«
Er spürte, wie er wankte. Fehlender Schlaf kann den Verstand vergiften, ihn in merkwürdige Richtungen lotsen. Mumm spürte Volkers Hand auf seiner Schulter. »Ich bringe Euch zu Eurer Kabine, Kommandeur. Es ist wirklich ein sehr langer Tag gewesen.«
Mumm konnte sich nicht daran erinnern, dass er sich ausgezogen und sich ins Bett gelegt hatte oder, besser gesagt, in die Koje, aber er hatte es zweifellos getan, und den kleinen Resten weißen Schaums in der winzigen Waschschüssel der Kabine nach zu schließen, hatte er sich sogar die Zähne geputzt. Er hatte wie ein Toter geschlafen, allerdings waren ihm natürlich keine Teile abgefallen, und er war auch nicht langsam zu Staub zerbröselt. Alles, woran er sich erinnerte, war eine kühle pechschwarze Dunkelheit und, als er jetzt allmählich wieder daraus aufstieg, eine Gewissheit, als wäre in der Dunkelheit eine Nachricht hinterlegt worden, die nur darauf wartete, dass sich der Verstand wieder einschaltete. Er ist hinter dir her, Tafelwart Mumm. Du weißt es, weil du das, was in seinen Augen lauert, erkannt hast. Du kennst diese Typen. Vom Tage ihrer Geburt an möchten sie sterben, aber dann verschiebt sich etwas, und stattdessen fangen sie an zu töten. Er wird dich finden, ebenso wie ich, und ich hoffe nur, dass wir drei uns im Dunkeln begegnen.
Als die Nachricht verblasste, starrte Mumm an die gegenüberliegende Wand, in der die Tür nach einem flüchtigen Klopfen aufging. Es war der Steward, der etwas mitbrachte, das jeden Albtraum sofort verscheuchte, nämlich eine Tasse heißen Tee. 30
»Sie müssen nicht aufstehen, Herr Kommandeur«, grüßte der Steward gut gelaunt und stellte die Tasse vorsichtig in eine kleine Vertiefung, die ein vorausschauender Geist in die kleine Kabine miteingeplant hatte, damit besagte Teetasse nicht hin und her rutschen konnte. »Der Kapitän möchte Sie davon unterrichten, dass wir in ungefähr zwanzig Minuten anlegen, aber Sie dürfen selbstverständlich gerne noch länger an Bord bleiben und zu Ende frühstücken, während wir schon mal die Speigatten sauber machen, die Ochsen austauschen und natürlich die Post und Futter und ein paar Passagiere an Bord nehmen. In der Kombüse hätte ich heute …« Der Steward ratterte voller Begeisterung ein Angebot von magenfüllenden Proportionen herunter, das triumphal mit einem »Schinkensandwich!« endete.
Mumm räusperte sich und sagte schwermütig: »Haben Sie vielleicht auch Müsli?« Schließlich war Sybil nur noch zwanzig Minuten entfernt.
Der Steward sah ihn verdutzt an. »Doch, schon, wir haben alle Zutaten an Bord, selbstverständlich, aber ich hätte Sie nicht als Karnickelfutterknabberer eingeschätzt.«
Mumm dachte wieder an Sybil. »Na ja, vielleicht zuckt ja heute mein kleines süßes Näschen.«
So luxuriös die Kabine eingerichtet sein mochte, geräumig war sie nicht. Mumm gelang es, sich mit einem vom Steward gestifteten Rasiermesser – »Mit Grüßen vom Kapitän, Herr Kommandeur« – zu rasieren. Eine wohlüberlegt angebrachte Schüssel, dazu Seife, ein Waschlappen und ein winziges Handtuch sorgten zumindest für die ausreichende Waschung dessen, was seine Mutter immer »die prominenten Stellen« nannte. Nachdem das erledigt war, dachte er mit einiger Wehmut daran, dass diese kleine hölzerne Welt sich schon bald in Nichts auflösen und er wieder in die Welt von Sam Mumm, Ehemann und Vater, eintreten würde. Solange er jedoch dabei war, sich in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen, drehte er sich immer wieder seinem Rasierspiegelbild zu und sagte: »Fred Colon!«
Es hatte sich herausgestellt, dass man in dieser Luxuskabine durchaus hervorragend schlafen konnte, aber letztendlich war sie so klein, dass sie eigentlich nur für eine sehr anspruchsvolle Leiche geeignet war. Nachdem dann aber doch jedes Teil von Mumm, an das er mehr oder weniger gut herankam, einigermaßen, wenn auch
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