Steile Welt (German Edition)
eigenartig. Die Leute möchten profitieren von den Auswärtigen, aber fremdes Volk wollen sie dann doch nicht um sich haben. Gut, wenn es solche sind, die nur hierherkommen, um sich zu erholen und sich nicht um ihre Häuser kümmern und alles drum herum verkommen lassen, kann ich das noch verstehen. Ein bisschen Pfeife rauchen oder sonst etwas, vielleicht noch Gitarre spielen, das kann jetzt jeder. Einen Steilhang mähen und die Mauern instand halten, das ist halt etwas anderes. Es gibt aber auch solche, die Orte wie diesen hier suchen. Und denen sollte man nicht vor dem Glück stehen. Nicht einmal für einen Ausflug eignet sich dieses Tal. So scheint es mir manchmal jedenfalls. Wenn ein Restaurant ums andere zugeht, dann ist es einfach nicht mehr attraktiv, eine Fahrt hierher zu unternehmen. Wenigstens einkehren sollte man können und ein gutes Mittagessen zu sich nehmen. Gütiger Himmel, was bin ich doch heute wieder für ein Lästermaul. Das sind halt so die Gedanken, die man sich hier macht, wenn der Tag lang wird. Die Welt beschränkt sich auf diesen kleinen Umkreis, und ich bin halt eine, die gern zu allem ihren Kommentar abgibt. Ich habe mich noch nie zurückgehalten mit meiner Meinung. Ich sage, was ich denke. Es soll nicht böse gemeint sein. Vielleicht liege ich ab und zu quer oder gar falsch mit dem, was ich so rede. Das kann gut sein. Man setzt sich halt auseinander mit seiner Umgebung. Wenn die nicht mehr interessieren würde, käme man auch nicht mehr hierher.»
Wie das Haus, so auch die Herrin. Sie zeigt, was sie hat. Die schwarze Spitze im Ausschnitt lenkt den Blick ins Dekolleté. Kein schadhafter Nagel verunziert die Hand, der Schmuck dezent, aber glänzend. Das schöngefärbte Haar hochgesteckt, die feinen Fältchen gekonnt retouchiert. Auch hier steckt viel Arbeit dahinter. Darunter macht man es nicht. Dahinter steckt aber mehr, als der erste Blick auf die sorgfältig errichtete Fassade vermuten lässt. Hinter dem Geplapper, zwischen den Zeilen, steckt in Wirklichkeit die Anteilnahme, das Mitgefühl, auch ein gutes Stück Sorge um die Zukunft dieser Heimat. Seinen eigenen Teil davon nach aussen zu tragen, für alle sichtbar, so schön wie möglich alles herauszuputzen, ist auch eine Art, seine Verbundenheit und Liebe kundzutun. Es soll dies jeder auf seine Weise tun dürfen. Auch wenn es nicht die eigene ist. So weit ist man schon gekommen.
«Nicht einmal mehr in der Kirche hat es Leute. Vielleicht fünfzehn Personen besuchen am Sonntag die Messe. Lauter graue Köpfe. Schon dem Priester zuliebe sollte man in die Messe gehen. Der ist alt und krank und kommt dennoch fast jeden Sonntag her, um die Messe zu lesen. Ab und zu laden wir ihn zum Essen ein, als Zeichen des Danks. Eigentlich wäre er ja jetzt an der Reihe, dass man zu ihm schaut. Stattdessen schaut er immer noch zu seinen Gläubigen. Das ist doch nicht in Ordnung. Manchmal kommt auch ein jüngerer Priester. Aber der macht einfach seine Arbeit, wie man jede andere Arbeit auch macht. Da ist keine Seele mehr dabei. An besonderen Tagen bringe ich Blumenschmuck in die Kirche. Blumen, davon habe ich ja genug im Garten. Sonst wäre es noch trostloser dort, wo keine jungen Leute oder gar Kinder mehr darunter sind. Taufe und Kommunion, das machen die Kinder noch mit. Wenn es gut geht, heiraten sie auch kirchlich, wenn sie erwachsen sind. Sofern sie überhaupt noch heiraten. Aber sonst ist der Glaube nicht mehr von Interesse.»
Gott und die Welt sind nun abgehandelt. Wenigstens für heute. Die Zeit erlaubt es, sich zu verabschieden und zu gehen.
Zur Messe ist man dann doch noch gegangen, am folgenden Sonntag. Hat sich ein Herz gefasst und die Nachbarin einen bei der Hand. Die Kirche sei für alle da. Da war man dann schon ein bisschen fremd unter all den alten Menschen, deren Kirchgang nicht der Neugier entspringt, sondern einer gelebten Frömmigkeit. Was man von sich nun so nicht behaupten kann. Mit ein bisschen Talent lassen sich aber die ganzen Abläufe mitspielen, ohne allzu sehr aus dem Rahmen zu fallen. Und während der Predigt schweifen die Gedanken ab und der Blick zu den Kunstwerken, die man längst betrachten wollte. Jetzt hat man Zeit und Gelegenheit dafür, da die Botschaft der Predigt sich einem nicht erschliesst. Weder sprachlich noch inhaltlich. Dafür ist man dann eben doch zu wenig gottesfürchtig. Und katholisch eben schon gar nicht genug. Schön ist es trotzdem. Oder vielleicht gerade deshalb.
da vegiarésc
Der Vollmond
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