Steile Welt (German Edition)
als er dann diese Firma übernehmen konnte, dieser Verwandte, hatte er sicher Hunderte von Angestellten. Er war Millionär. Nur war er einer, dem es wichtig war, unter seinesgleichen zu verkehren. Von seinem vielen Geld hatte er nie etwas an solche abgegeben, die es wirklich hätten brauchen können. An seine Verwandten, die hier im Tal zurückgeblieben waren, beispielsweise. Lieber veranstaltete er grosse Feste für andere Reiche, um denen zu zeigen, wie weit er es gebracht hatte und was er sich alles leisten konnte. Von Zeit zu Zeit zog es ihn wohl an den Ort seines Ursprungs zurück, und er kam hierher ins Tal.
Als er einmal seine Verwandte, die Zia, hier im Dorf besuchte, drückte er ihr beim Abschied fünfzig französische Francs in die Hand mit dem Ratschlag, doch endlich einmal das Dach richten zu lassen. Statt ihr dies zu finanzieren. Das hätte ihm nämlich kein Loch in seinen Geldbeutel gerissen. Aber mit so etwas hätte er sich natürlich nicht brüsten können, das wäre ja niemandem aufgefallen. Und die Zia hatte ihn natürlich auch nie um Geld gebeten. Da hatte man schon seinen Stolz. Ihm gehörte ein anderes Haus hier im Dorf. Das hatte er geerbt, sich aber nie darum gekümmert. Denn es stand leer, von Anfang an. Irgendein Onkel oder Grossonkel hatte wohl mit dem Bau begonnen und war dann nie damit fertig geworden. Gerade da vorne. Es war also nicht vollendet, auch nicht bewohnbar. Die Grundmauern standen, auch die Balkone waren schon fertig. Es fehlte nur noch das Dach. So stand es über all die Jahre leer. Er wollte es nicht fertigbauen lassen, wollte es aber auch nicht behalten. Statt es nun aber zum Beispiel der Zia zu vermachen, verkaufte er es an die Gemeinde. Und was haben die gemacht? Es abgerissen und den Parkplatz gebaut.
An die Armen verteilte er nichts. Das ist ihm wohl gar nicht in den Sinn gekommen. Oder er war der Ansicht, jeder müsse sich sein Leben selbst erarbeiten, ohne Unterstützung. Stattdessen hat er sich mit seiner noblen Familie in den beiden grössten Palästen im oberen Dorf niedergelassen, wenn er hier zu Gast war. Diese Häuser müsstest du von innen sehen. Die sind ja von aussen schon sehr imposant. Innen aber ist alles voll mit prunkvollen Möbeln, Gemälden, Teppichen und Marmorkaminen. Es gab ihn schon, den Reichtum hier im Tal. Nur waren die Reichen meist abwesend und hatten ihr Geld bei sich. Die Armut hier wurde dadurch nicht geringer.
Sein eigenes Haus in Frankreich nannte er son petit chalet. Meine Schwester war, als sie jung war, einmal dort zu Besuch. Er hat immer alle zu sich eingeladen, die irgendwie von der Familie waren. Mich hatte das nie interessiert. Ich wollte das nicht sehen. Da war er dann schon grosszügig. Aber diese Grosszügigkeit diente einzig dazu, den Reichtum zu demonstrieren. Sie, die Schwester, war schier erschlagen von dem Prunk, den sie dort antraf. Alles vom Feinsten und Teuersten, ein Riesengebäude, ein Schloss könnte man sagen, eine Märchenwelt, wie sie mir erzählte.
Die Palazzi oben im Tal stammen aus dieser Zeit. Manchmal werden sie bewohnt von Nachfahren des Erbauers. Und wie das so ist mit Häusern, die lange leer stehen, sie beginnen zu verfallen, auch wenn man noch so gut zu ihnen schauen lässt. Noch sieht man es ihnen nicht an. Wenn sie nicht regelmässig geheizt werden, dringt die Feuchtigkeit ein. Die Mängel werden erst festgestellt, wenn wieder einmal jemand ein paar Tage dort ist. Dass die Heizung nicht funktioniert oder die Mauern hinter den Möbeln schimmlig sind. Undichte Stellen am Dach machen sich im Inneren auch erst nach einer gewissen Zeit bemerkbar.
Vorbei sind die Zeiten, als die Herrschaften für den Sommer anreisten, samt Personal. Hier die schönen Monate verbrachten, sich vergnügten und Gäste einluden. Nichts weiter zu tun hatten, als das Leben zu geniessen. Das gibt es nicht mehr. Fast müsste man sagen, leider. Es würde den Häusern gut tun. Und dem Dorfleben. Letztlich sorgte es auch wieder für neuen Gesprächsstoff. Davon können die schönen Häuser nur noch träumen. Und langsam vor sich hin altern.
Wir merken es ja selber, am eigenen Haus. Wir kommen im April oder im Mai her und bleiben ein halbes Jahr. Die erste Woche nach der Ankunft ist immer ungemütlich, bis sich das Haus wieder bewohnbar anfühlt, sich die dicken Wände erwärmt haben und der muffige Geruch aus den Zimmern vertrieben ist. Dabei kommen wir auch im Winter ab und zu rauf, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. Es ist
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