Steile Welt (German Edition)
das Haus der alten Zia, das wir den erbberechtigten Verwandten abkaufen konnten. Das war vor zwanzig Jah ren. Dann haben wir es ausgebaut, das Dach angehoben, sodass es jetzt Platz genug hat für uns zwei, für meine Schwester und ihren Mann, die auch immer einen Monat pro Jahr hier verbringen, und weitere Gäste, falls sie Lust auf ein paar Tage Ferien hier im Tal verspüren. Das kommt aber selten vor. Es gibt hier einfach zu viel zu tun, darum meiden die meisten diesen Ort. Es gehört ein riesiges Stück Umschwung dazu, das gemäht werden will. Daneben haben wir den grossen Garten mit Blumen, Früchten und Gemüse. Wir machen das gern. Die Tage wollen ja irgendwie genutzt werden. Aber je länger je mehr stossen auch wir an unsere Grenzen. Das Alter macht auch vor uns nicht Halt.»
Es gibt im Dorf, wenn nicht im ganzen Tal, keinen schöneren Garten als diesen. Unverschämt bauschen sich die Hortensien, Malven, sicher an die zwei Meter hoch, blühen um die Wette. Viel mehr an Namen dieser ganzen Blumenpracht kennt man nicht, es würde auch den Rahmen sprengen. Der Salat steht stramm, der Farbe nach. Zwiebeln, Lauch, Zucchetti, alles an seinem Platz.
An der Fassade nicht eine einzige schadhafte Stelle, das Holz frisch lackiert und hinter den Fenstern weisse Spitzengardinen. Die Zia lebt weiter im Namen dieses Hauses, in Eisen geschmiedet für die Ewigkeit. Und wüsste man es nicht besser, man wähnte das Haus in einem feudalen Kurort stehend, wenn nicht gleich unterhalb der Gemüsebeete die Wildnis begänne, neben den Rosenrabatten der Wasserfall, der echte, in die Tiefe spränge.
«Mein Mann mähte auch immer die Terrassen neben dem Haus. Dort war vor zwanzig Jahren bereits alles überwachsen mit Wald. Das hat er alles gerodet und wieder in Ordnung gebracht. Als die Gemeinde die Flurbereinigung machte, boten sie uns das Stück Land zum Kauf an. Zwanzig Franken wollten sie für den Quadratmeter. Davor hatten sie von uns Land bekommen für zwanzig Rappen. Fünf Franken, das hätte man ja noch gezahlt, aber zwanzig. Das war uns dann doch zu viel, dafür, dass man damit nichts als Arbeit hat. Jetzt mähen wir nicht mehr. Sollen sie es nun wieder selber machen, die von der Gemeinde. Und den Wanderweg besser markieren, das wäre auch nötig. Jetzt läuft man hier die Wiese runter und weiss dann nicht mehr weiter, wenn man es nicht kennt.
Im Winter wollen wir nicht hier sein. Das ist dann doch zu einsam und trist. Wenn alles nur noch grau ist und alle drinnen sitzen. Ich brauche Leute um mich herum. Sonst würde ich wohl komisch und eigen werden. Der Nachbar sitzt die meiste Zeit im Haus, obwohl er einen so grossen Garten hat. Ich sage immer zu ihm, es stehe zu viel in seinem Garten. Da kommt gar keine Sonne mehr durch. Er hat Äpfel, Aprikosen, Kirschen, so viel kann einer allein gar nicht verbrauchen. Er müsste diese Bäume einmal schneiden. Sonst ist bald alles zugewachsen. Ich weiss nicht, wie der das aushält. Er ist ja ganz allein. Fährt einmal in der Woche runter für den Grosseinkauf. Sonst sieht er kaum einen Menschen. Sein Haus und sein Garten richten sich ja zur Talseite hin. So wird er selber auch nicht gesehen, wenn er nicht raufkommt zur Strasse. Er hat Internet, war der erste hier, der einen Anschluss hatte. Und er erfindet Sachen, die ihm den Alltag erleichtern. Sein Haus ist ganz verkabelt. Mit Kameras und Bildschirmen. Sensoren und Schaltern. Als er sich vor mehr als zehn Jahren eine kleine Geschirrspülmaschine gekauft hatte und eine Woche später im selben Geschäft die gleiche für nicht einmal den halben Preis noch einmal sah, hat er eine solche zum zweiten Mal gekauft. Vor ein paar Wochen konnte er die alte nun mit der neuen ersetzen. Das ist ja irgendwie schon weitsichtig. Alte Kühlschränke braucht er als Schränke, und eine kleine Solaranlage sorgt für Licht ums Haus und im Treppenhaus. Er ist ein sehr liebenswerter und hilfsbereiter Mensch. Ich selber sage immer zu ihm, er solle sich doch öfter bei uns melden. Sonst denkt man immer, wenn man ihn länger nicht sieht, es sei etwas passiert.
Als er sein Haus kaufte, lagen im oberen Zimmer noch alle Sachen des vorherigen Mieters herum. Ein ganzer Haushalt in einen einzigen Raum geräumt. Was er nicht wusste, war, dass dem Mieter noch nicht einmal gekündigt worden war, als er das Haus übernahm. Das gab ein schönes Theater. Es ist eben nicht nur heile Welt hier. Nicht einmal in so einem kleinen Dorf wie diesem hier.
Es ist sowieso
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