Steile Welt (German Edition)
fällt durch das Dachfenster und legt ein fahles Rechteck auf den Teppich. Der Kauz ist gut bei Stimme, bald setzt kreischend ein zweiter Nachtvogel ein. Auch Fritz der Ketzer setzt Akzente in dieser heiteren Nacht. Der Schlaf versteckt sich irgendwo da draussen in dieser Fülle aus lichter Dunkelheit, in die man jetzt hinaustritt und ihr ein Ohr leiht. Die Nacht ist lebendig, folgt ihrem eigenen Gesetz, davon ausgeschlossen die Nichteingeweihten, die Blinden in der Finsternis. Im Mondlicht nur halbblind. Erkennbar aber nichts als Schatten. Es ist schön. Schauderhaft schön. Schauderhaft. Fröstelnd schliesst man die Tür wieder ab, nicht wegen der kühlen Luft. Den Schlaf hat man auch draussen nicht gefunden. Trotzdem nistet man sich ein im Bett und greift nach einem Buch. Man schleppt sich über die Seiten, während ein Falter sich einem Nahkampf mit der Lampe stellt. Er wird ihn verlieren, wenn das Licht nicht bald ausgeht. So betätigt man den Schalter und öffnet weit das Fenster, hört fern in die Nacht hinaus.
Und sitzt in Gedanken noch einmal in dieser einfachen Küche, über deren Tisch die Fliegen kreisen. Der schiefe Fussboden vibriert ab und zu unter den Sohlen, wenn die Ziegen stampfen oder an den Stricken reissen. Sie schütteln den Kopf und läuten ihre Glocken. Der Raum darüber ist karg. Der weite, offene Kamin bis zum Boden ist hell gestrichen, wird nicht mehr benutzt. Davor ein Holzherd. Sein Ofenrohr führt in den Abzug. Ein zweiter Herd mit Gasflasche. Für den Sommerbetrieb. Das niedere Spülbecken aus einem massiven Granitklotz gehauen. Ein Wasserhahn. Kalt. Im Töpfchen wird Kaffe erwärmt. Ein Rest aus dem schnellen Brüter. Aus Aluminium die Zuckerdose, fein ziseliert und mit Dellen. Die Milch kommt aus dem Tetrapack und aus dem Kühlschrank ein stechender Geruch nach Ziegenkäse. Nicht abstossend, aber stark. Der Küchenschrank, der die ganze Rückwand bedeckt, gefüllt mit allerlei Tassen und Tellern, Schalen, Schälchen und Schüsseln. Was braucht ein Mensch allein auch so viel Geschirr. Alles ist blitzsauber. Biscotti werden abgelehnt. Man hat sonst genug zu knabbern. Der Kaffee ist stark und bitter und verlangt nach der Zuckerdose. So wie der Zucker, lösen sich langsam die Worte von den Lippen des alten Mannes. Endlich ist auch er zur Ruhe gekommen und sitzt, die Ellbogen aufgestützt, am Küchentisch.
«Als Ältester von zehn Geschwistern hatte man schon einige Verantwortung. Das wurde einem wohl schon mit der Muttermilch einverleibt. Es war nie die Frage, ob ich hier bleiben würde oder weggehen. Dass ich einmal den Hof übernehmen würde, das stand immer fest. Der Hof war ja kein grosser. Trotzdem war man jeden Tag damit beschäftigt. Wir hatten bis zu dreissig Ziegen, machten jeden Tag Käse. Die Tiere wollten natürlich auch gefüttert sein, vor allem im Winter. So war man den ganzen Sommer und Herbst damit beschäftigt, das Dach und die Schober mit Heu zu füllen. Zwei von uns Kindern waren immer mit der Herde unterwegs. Zwei, die alt genug waren, um sich nicht zu verlaufen, die aber noch nicht so stark waren, dass man sie auf dem Feld hätte brauchen können.
Als ich alt genug dafür war, hatte ich dann angefangen, den Winter über im Holzwerk zu arbeitet. Ich war gross gewachsen und stark. Solche konnten sie immer brauchen. Da gab es auf dem eigenen Hof nicht so viel zu tun, dass es mich hier gebraucht hätte. Diese Arbeit machte man aber nicht allzu lange. Oder man hatte bald einmal einen so kaputten Rücken, dass man gar nichts mehr herumtragen konnte. Darum suchte ich mir später eine andere Arbeit, unten in Losone. Wer stark war und geschickt, fand immer eine Anstellung. Ansprüche durfte man natürlich keine stellen. Kost und ein Bett und vielleicht fünf Franken in der Woche. Ausbildung machte man keine. Man fing irgendwo mit etwas an und erlernte ein Handwerk, indem man erst die einfachen und mit der Zeit dann die schwierigeren Arbeiten ausführen durfte. So konnte man nie sagen, was man von Beruf war. Nur, als was man gerade arbeitete. Man legte sich auch nicht fest. Gab es irgendwo etwas anderes zu tun, was mehr einbrachte, dann wechselte man. Es gab natürlich Stellen, die beliebter waren als andere. Als Laufbursche beispielsweise war man gerne unterwegs. Wenn man Glück hatte, bekam man sogar ein Fahrrad. So belieferte man Haus für Haus mit irgendwelchen Dingen. Schnell musste man sein und vor allem freundlich. Mit ein wenig Charme kam man schon weit. Die
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