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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Stauffer
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Mädchen ihrem Vater wohlbehalten. Sie rannte ins Haus, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. Einen Kuss hatte ich ja nicht erwartet, aber vielleicht einmal ein kleines Dankeschön und ein Lächeln. Mit einem besonderen Blick aus den leuchtenden Augen. Aber ich war wohl schon vergessen, kaum dass sie mir den Rücken zudrehte. Auf jeden Fall ging ich selber dann auch nach Hause und nicht noch einmal zurück ans Fest, wie ich es eigentlich im Sinn gehabt hatte. Ich hatte sowieso nur dieses eine Mädchen im Sinn. Und da ich nicht mehr mit ihr tanzen konnte, ging auch ich heimzu. Machte eine Runde durch den Stall und setzte mich dann vors Haus. Rauchte vielleicht noch eine Zigarette und genoss die Stille der Nacht.
    Dann kam eben dieser Sonntagmorgen. Wir bemerkten, dass der Bruder nicht heimgekommen war. Erst dachten wir, er wäre irgendwo untergekommen. Hätte ins Bett einer Frau schlüpfen können. Am Mittag war er aber immer noch nicht da, und man begann sich zu sorgen. Ich ging also hinunter ins Dorf, um nach ihm zu fragen. Er war bis zuletzt geblieben. Da waren sich alle einig, die ihn noch gesehen hatten. Keiner von denen hatte aber den gleichen Weg gehabt wie er. Er war somit alleine heimwärts losgezogen. Sicher hatte er einiges getrunken. Das war aber üblich am Wochenende. So ging ich den Weg wieder zurück und schaute überall hinunter. Unter der letzten Brücke sah ich dann seinen Hut liegen. Da wusste ich eigentlich schon, dass ich ihn nicht mehr lebendig finden würde.
    In die Schlucht hinabzusteigen, das war zu gefährlich. So ging ich zum Haus zurück und holte erst einmal ein Seil. Den anderen sagte ich noch nichts von dem Hut. Ich dachte, wenn ich sicher wäre, sei es immer noch früh genug, sie zu informieren. Von unten her bin ich dann zur Schlucht hochgestiegen. Ich fand ihn aber nicht. Also ging ich wieder auf die Strasse hinauf und zur Brücke. Schaute hinab, sah aber nirgendwo auch nur das kleinste Anzeichen, das auf einen Sturz hindeutete. Gerade wollte ich wieder heimkehren, als ich ihn auf der anderen Seite der Brücke liegen sah. Seine Arme und Beine waren ganz verdreht, sein Gesicht aber war unversehrt geblieben. Es lag nicht einmal ein Erschrecken darin. Er musste den oberen Weg genommen haben, den alten Fussweg, und auf einer nassen Stelle am Bach ausgerutscht und so ins tiefe Bachbett hinuntergefallen sein. Ich konnte ihn nicht selber heraufholen. Aber von der Familie mochte ich auch niemanden rufen. Es war einfach zu traurig. So holte ich einen Mann aus dem Nachbardorf, und zusammen gelang es uns, ihn zu bergen. Ich seilte mich ab, er sicherte mich, und ich band den Bruder an einem zweiten Seil fest, das der Nachbar mir hinunterliess. Er zog zuerst ihn herauf, dann mich. Wir legten ihn an die Strasse, und ich drückte ihm die Augen zu. Auf seinen Lippen lag fast ein Lächeln. Wahrscheinlich stand ich unter Schock, denn ich stieg den Berg hinauf, der Mann rief mir noch etwas hinterher, was, konnte ich nicht verstehen. Ich verstand ja gar nichts mehr. Ich stieg immer höher, rannte fast, bis es nicht mehr weiterging. Dann blieb ich stehen und schrie mir die Seele aus dem Leib. Der Schrei muss im ganzen Tal zu hören gewesen sein. Dann setzte ich mich auf einen Stein und weinte. Weinte mir die ganze Schuld aus dem Leib. Schliesslich hatte ich nicht auf ihn achtgegeben, sondern war mit einem Mädchen weggegangen. Hätte ich ihn auf seinem Heimweg begleitet, wäre das sicher nicht passiert. Ich war noch jung, aber ich war immer vernünftig gewesen. Wir hätten sicher nicht den alten Weg benutzt, betrunken und erst noch im Dunkeln. Als ich endlich heimkam, Mittag war schon längst vorbei, lag der Bruder bereits aufgebahrt in der Küche. Viele von denen, die am Fest dabei gewesen waren, kamen noch am selben Abend, um dem Bruder die letzte Ehre zu erweisen, bevor sie wieder zurück mussten an ihre Arbeitsstellen. Die Nachricht hatte sich schnell herumgesprochen. Währenddessen packte ich mein Bündel und ging zu Fuss über die Alp hinüber ins Nebental. Es war noch in dieser Zeit, als ich als Holzer dort arbeitete. Legte mich in der Baracke auf mein Bett und wollte niemanden sehen. Die nächsten paar Wochen ging ich am Wochenende nicht heim. Ich sprach auch mit niemandem. Keiner machte mir aber je einen Vorwurf. Ich jedoch trug ein Leben lang an meiner Schuld.»
    Der Blick klebt sich ans Tischtuch, und die Hände halten sich fest an der leeren Tasse. Die Ziegen unten rumpeln weiter, und das

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