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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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seinem rekonstruierten Gesicht. Als sie ihn fanden, hatte er keins mehr«, sie verstummte und schien zu erschauern. Yann griff nach ihrer Hand. Sie ließ es geschehen. »Er sah aus wie Said.«
    Anna spürte, wie sich Yanns Griff verstärkte.
    »Aber Anna, das kann nicht sein! Said ist tot!«
    »Wer sagt das? Said ist verschwunden damals, ja. Aber seine Leiche habe ich nie gesehen!«
    »Aber alle waren sich sicher, dass er auf See geblieben ist – sogar die Gendarmerie!«
    »Wie kannst du das sagen? Ich dachte immer, du bist auf meiner Seite!«
    Sie löste ihre Hand aus der seinen.
    »Du sagst, dass du mich liebst – wenn du das wirklich tust, musst du auch meine Zweifel verstehen! Ich habe nie glauben können, dass Said tot ist!«
    »Oh, Anna!«
    Yann sah sie mit einem Blick an, der ihr durch und durch ging, so voller Traurigkeit und Verzweiflung, dass sie sich trotz ihrer eigenen niedergedrückten Stimmung fragte, ob ihr Verhalten ihm gegenüber nicht grausam und herzlos war. Schließlich hatte er ihr vorletzte Nacht erst gesagt, dass sie die Frau seines Lebens sei. Er war so glücklich, so gelöst gewesen, wie sie ihn all die Jahre nie erlebt hatte, er hatte sie immer wieder gefragt, ob sie ihn nicht so bald wie möglich heiraten wolle – und sie erweckte jetzt den Eindruck, als ob Said immer noch zwischen ihnen stünde – ob tot oder lebendig. Und wahrscheinlich war das sogar die Wahrheit. Oh Gott, wann würde sie endlich einmal zur Ruhe kommen, wann würde dieses Chaos der Gefühle nur ein Ende haben?
    »Es tut mir leid, Yann.«
     
    Es war später Sonntagnachmittag. Mit blinkendem Blaulicht schnurrte der silbergraue Audi über die Landstraße, gefolgt von zwei Streifenwagen. Ein leichter Wind trieb Wolkenfetzen über den Himmel, zwischen denen die Sonne immer häufiger hervorlugte. Die Anspannung der Kommissare war förmlich mit Händen greifbar. Sie sagten nichts. Aber Angermüller saß aufrecht wie nie auf dem Beifahrersitz und die Frequenz von Jansens Lidschlag hatte sich mindestens verdoppelt.
    Tausend Gedanken schossen Angermüller durch den Kopf. Er hatte sich geirrt. Er hatte in einer Reihe von Zufällen Zusammenhänge sehen wollen, die so nicht existierten. Maik Priewe und seine Gang ebenso wie der alte Burmester waren zufällige Statisten, die ihn auf eine falsche Fährte gelockt hatten. Natürlich war ihnen die Tat zuzutrauen – schlimm genug, was sie mit Fouhad Ferhati angestellt hatten –, aber sie hatten mit dem Toten vom Steilufer wohl wirklich nichts zu tun. Die Dinge sind oft ganz anders, als sie scheinen. Es war nichts als eine Binsenweisheit, die Astrid neulich Abend von sich gegeben hatte, aber es war die exakte Beschreibung dessen, was ihre Ermittlungen zu Tage gefördert hatten.
    Sie bogen in die schmale Straße ein, die durch Felder und Wiesen und das kleine Wäldchen in dem Fouhads Roller gefunden worden war, zur ›Villa Floric‹ führte. Jansen schaltete das Blaulicht aus und die Streifenwagen taten es ihm gleich. Angermüller wollte kein unnötiges Aufsehen erregen. Sie parkten die Autos auf dem Hof zwischen Villa und Remise und Angermüller wies die Uniformierten an, sich unauffällig vor den verschiedenen Ausgängen zu postieren. Die Tür zum Hintereingang stand offen und Jansen und Angermüller betraten einen langen Flur. Aus einem Raum zu ihrer Linken war das Klappern von Töpfen und Geschirr, Stimmen und Lachen zu hören. Es war die Küche, wo die Köche und ihre Helfer dabei waren, ihre Vorbereitungen für den Abend zu treffen. Gemüse und Salat wurden gewaschen und geschnitten, Soßen gerührt, Kartoffeln geschält, Fisch gesäubert, Fleisch gewürzt – es herrschte rührige Betriebsamkeit. Angermüller machte sich mit einem lauten »Guten Tag!« bemerkbar und fragte dann nach Yann Tanguy.
    »Versuchen Sies mal im Wintergarten, da habe ich ihn vorhin noch gesehen«, empfahl ein junger Koch mit einem deutlich englischen Akzent. »Hier durch den Flur, an der Bar vorbei und rechts durch das Restaurant.«
    Sie fanden ihn allein an einem Tisch sitzend, den Blick auf die Terrasse gerichtet, auf der die Tische mit den hochgestellten Stühlen, die Palmen und die Oleanderbüsche ringsherum, nass vom stundenlangen Regen, in der Sonne glitzerten. Die plötzlich zurückgekehrte Wärme ließ die Erde dampfen. Draußen vor der geschlossenen Tür, die vom Wintergarten auf die Terrasse führte, konnte man einen der Streifenpolizisten stehen sehen. Als er hinter sich die Schritte der

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