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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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versuchte, wie er hier je zum Ziel gelangen könne, spürte er, wie in seinem Rücken zwei Hände tastend durch die Zweige glitten und seinen Leib umfaßten, schmale, hellhäutige Hände, die für einen Augenblick auf seiner haarigen Haut lagen und dann rasch zurückgezogen wurden, und wieder war dieses Taubengurren-Lachen zu hören, das seine Müdigkeit vertrieb. »Wo bist du?« rief er. »Zeig mir den Weg!« Auch diesmal flatterte nur ein Vogel auf und strich dicht über der Hecke dahin, doch jetzt schien es Lauscher, als solle ihm die Richtung gewiesen werden, und er lief dem Vogel nach, der eben hinter einer Biegung verschwand und dann noch einmal flügelschlagend in die Höhe stieg, als wolle er zeigen, wo es weiterging. Und als Lauscher auch diese Wegbiegung hinter sich hatte, trat er nach wenigen Schritten in ein weites, von hochragenden Hecken umfriedetes Rondell und wußte, daß er die Mitte dieses Gartens erreicht hatte. In einem steinernen Becken stieg die Fontäne eines Springbrunnens in die Höhe und ließ ihr sprühendes Wasser auf zwei marmorne Figuren herabstürzen.
    Lauscher blieb wie gebannt stehen und betrachtete die Gestalt der Frau, die ihr Gesicht der herabregnenden Flut entgegenhielt. Wenn er die Schönheit jener Figur bewundert hatte, die er zuvor hatte stehen sehen, so war er sich doch bewußt gewesen, daß er vor einer Statue stand, die aus kaltem, toten Stein gemeißelt war; diese von Wasser überströmte Frau jedoch schien ihm voller Leben, und es hätte ihn nicht verwundert, wenn sie im nächsten Augenblick ihre schlanken Arme bewegt oder ihm ihr Gesicht zugewendet hätte, und sein Herz schlug bis zum Halse vor Erwartung. Lange stand er so, gefangen von der Süßigkeit dieser Gestalt, ehe ihm auch die zweite Figur ins Bewußtsein trat. Diese war unverkennbar ein Mann und doch auch wieder nicht: Der von dichten, krausen Locken bedeckte bärtige Kopf wuchs auf einem kräftigen Hals aus breiten, muskulösen Schultern, auf der Brust kräuselte sich Haar, und je tiefer Lauschers Blick glitt, desto dichter umzottelte den Körper dieser Figur ein tierisches Fell, das sein Bocksgeschlecht kaum verhüllte und fransig herabhing über die sparrig abgeknickten Läufe, deren gespaltene Hufe wie zum Sprung in den steinernen Sockel gestemmt waren. Eine vage Erinnerung glitt Lauscher durch den Sinn, als habe er dergleichen schon einmal gesehen, und er ging auf diesen Tiermann zu, um ihn aus der Nähe anzuschauen, stieg in das Becken, übersprüht von Wasserkaskaden, stellte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schultern wie einem Bruder. Und ehe er wußte wie ihm geschah, war er selbst dieser bocksfüßige Faun und sah, wie die Frau ihr Gesicht ihm zuwandte, denn sie war nicht von Stein, sondern voller Leben und schaute ihn an mit ihren dunklen Augen, deren Farbe sich nicht beschreiben ließ, kam ihm entgegen, so wie er auf sie zuging, bis sie einander in den Armen lagen, eingehüllt und überspült von den sonnenfunkelnden Sturzfluten der Fontäne.

    Als er am anderen Morgen aufwachte, war dieser Traum schon fast wieder unter die Grenze seines Bewußtseins gesunken, und er entsann sich nur noch einer Fülle von Farben, Klängen und berauschender Düfte. Ihm war zumute, als sei er aus einem jetzt wieder unzugänglichen Land süßer Harmonie zurückgekehrt in eine Wirklichkeit voller Schwierigkeiten und Gefahren, versagter Hoffnungen und unerfüllbarer Wünsche, die ihn bedrückte. Zwar fand am Morgen die Versammlung der Ältesten statt, in der er für den Erfolg seiner Reise gebührend belobigt wurde (»Arni war mit dir, Hüter des Steins, und lenkte jeden deiner Schritte« sagte ein kahlköpfiger Zittergreis mit bebender Stimme), aber er konnte sich dieses allgemeinen Beifalls nicht recht freuen, zumal man seine Anwesenheit kaum noch beachtete, sobald die Probestücke der Goldschmiede von Arziak auf dem Tisch lagen. Da ging es an ein Betasten, Abschätzen, Berechnen von Gewinnspannen, und die Männer gerieten fast in Streit darüber, wer von den Händlern die Erlaubnis erhalten sollte, zu den Bergdachsen zu reiten, um dort ein größeres Sortiment einzukaufen. Selbst die Feierlichkeit der Redeweise, die bei solchen Versammlungen üblich war, schien ihnen mit einem Mal abhanden gekommen zu sein. Lauscher saß unbeteiligt dabei, nahm die endlich zustande kommenden Entscheidungen kaum zur Kenntnis und nickte wortlos, als man ihn der Form halber danach fragte, ob er bereit sei, Khan Hunli die zwölf

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