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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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noch im Irrgarten der eigenen Gedanken weiterzuführen.
    Er lag mit geschlossenen Augen unter den nickenden Mohnköpfen, spürte wie die seidenzarten Blütenblätter auf sein Gesicht fielen und atmete ihren Geruch, als eine Stimme ihn ansprach: »Willst du deine Zeit unter den Schlafblumen verträumen?« Als er die Augen öffnete, sah er vor sich auf dem Gartenweg das Rotkehlchen sitzen. Es beäugte ihn spöttisch und sagte dann: »Du solltest dich auf den Weg machen! Denkst du nicht mehr daran, daß du erwartet wirst?« Das Rotkehlchen spreizte seine Flügel, schwirrte davon und tauchte unter in einem wallenden Vorhang blütentraubenbehängter Glyzimen, und dahinter, so schien es Lauscher, verbarg sich eine dichte, dunkelgrün benadelte Wand. Er sprang auf, lief dem Rotkehlchen nach und drängte den Vorhang zur Seite. Da sah er den Eingang in den letzten Bereich, einen schön gewölbten Torbogen, und dahinter ein schnurgerades Stück Weg, rechts und links begrenzt von hohen, glatt beschnittenen Eibenhecken. Er stürzte mit solchem Ungestüm in diese schattige Pforte, daß er mit dem Fuß in den Schlingranken hängenblieb und blindlings auf den Boden schlug. Zu seinem Glück hatte man den Weg mit rundlichen, glatt geschliffenen Bachkieseln bestreut, so daß er, splitternackt wie er war, sich die Haut nicht aufschürfte. Und während er sich wieder aufrappelte, hörte er seitwärts hinter der Hecke wieder dieses Lachen, lockend und verheißend, und dieses Lachen trieb ihn weiter auf die Suche.
    Selbst hier in diesem dunkel umbuschten Gehege wurde es ihm nicht leicht gemacht, zur ersehnten Mitte zu finden. Der Weg, auf dem er eingedrungen war, endete an einer quer verlaufenden Hecke, vor der nach beiden Seiten Wege abzweigten, und kaum hatte er den rechten von ihnen beschritten, teilte sich auch dieser schon wieder, und als Lauscher diesmal den linken wählte, geriet er in eine Sackgasse, an deren Ende inmitten einer kreisrunden Ausweitung die marmorne Figur eines Kindes auf einem verwitterten Sockel stand. Lauscher fragte sich, auf welches Wild der Knabe mit dem Pfeil zielte, den er auf seinen Bogen gelegt hatte; denn der Pfeil zeigte in die Richtung, aus der er selbst gekommen war. Willst du mir den Weg zeigen? dachte er, folgte der Weisung über die nächste Kreuzung hinaus nach der anderen Seite und sah sich sogleich wieder vor eine neue Entscheidung gestellt; denn hier teilte sich der Weg gleich in drei Zweige. Ein Überblick über dieses Gewirr von Gängen war nicht zu gewinnen. Stets befand man sich zwischen unüberschaubaren Hecken und sah nichts als den Weg, auf dem man sich gerade befand. Diesmal wählte Lauscher den mittleren, und während er auf ihm voranschritt, meinte er hinter der nadeldichten Wand zur Rechten Schritte auf dem Kies zu hören. Sobald er stehenblieb, war nichts mehr zu vernehmen, doch wenn er weiterging, knirschte auch drüben auf der anderen Seite der Kies, und dazu gluckste es wie von unterdrücktem Lachen. Lauscher blieb stehen und versuchte, mit beiden Armen das Buschwerk auseinanderzudrücken, aber es gelang ihm nicht, einen Blick durch die Hecke zu werfen. Dafür war ihm, als habe er für einen Augenblick einen Körper berührt, warme, weiche Haut, die sich sofort wieder seinem Zugriff entzog, und zugleich flatterte drüben ein Vogel auf, kreuzte seinen Weg und verschwand jenseits der nächsten Hecke. So blieb ihm nichts anderes übrig als weiterzulaufen durch diesen Irrgarten, und er gab es auf, eine bestimmte Richtung einzuhalten, rannte aufs Geratewohl in die nächstbeste Abzweigung und wußte bald nicht mehr, ob er an dieser Stelle schon einmal gewesen war. Irgendwann mündete sein Weg wieder in ein rundes, rings von hohen Buchsbaumwänden umhegtes Plätzchen, und er glaubte schon, wieder zu dem pfeileschießenden Knaben zurückgekehrt zu sein; doch hier stand auf dem Podest die schneeweiße Figur einer zauberisch schönen nackten Frau inmitten der von schäumendem Wasser umspülten Schale einer Muschel und streckte ihm ihre Hand entgegen. Bewundernd umschritt er diese makellose Gestalt, doch sie erwachte nicht zum Leben, sondern zeigte weiterhin zum Ausgang dieses Rondells, und so folgte Lauscher auch ihrer Weisung und trottete weiter, obwohl er dieses Spiels allmählich müde zu werden begann. Als sich bald darauf der Weg schon wieder teilte, lehnte sich Lauscher mit den Schultern erschöpft an die elastisch nachgebende Wand einer Eibenhecke, und während er noch nachzudenken

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