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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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doch nun, da er stillsitzen mußte und die Wärme ihrer Fingerspitzen spürte, schaute er ihr in die grünen Augen, und er merkte bald, daß auch dies zu dem zauberischen Spiel gehörte; Narzia hatte es wohl nur deshalb nicht erwähnt, weil sie keinen Zweifel daran gehegt hatte, daß er ihren Blick suchen würde. Jedenfalls hielt sie ihre Augen unverwandt auf ihn gerichtet, so daß es nun zwei Verbindungen zwischen ihnen gab: die fühlbare ihrer Finger, durch die geheime Ströme vom einen zum anderen zu fließen schienen, und die nicht minder erregende ihrer Blicke. Narzias Augen rückten näher und näher, füllten bald seinen Gesichtskreis aus, und er tauchte hinab in diese grüne Tiefe, hinab und dann wieder hinaus in einen fahlen, farblosen Bereich ohne Boden und Horizont, ohne oben und unten, und hier bildete sich, als löse es sich langsam heraus aus waberndem Nebel, allmählich ein Gesicht, das hagere, von Falten durchfurchte Gesicht eines alten Mannes mit dünnem, fädigen Bart und weißen Zöpfen an den Schläfen. Arni blickte ihn mit seinen dunklen Augen an, durchaus nicht ernst, wie Lauscher irritiert bemerkte, sondern heiter, ja amüsiert, und dann öffnete er den Mund und begann lautlos zu lachen, als finde er diese ganze Veranstaltung unsäglich komisch.
    Nach einiger Zeit, deren Bemessung Lauscher nicht hätte angeben können, verlöschte das Bild, wie wenn man eine Kerze ausbläst, und er fand sich wieder Narzia gegenüber am Tisch sitzen. Sie löste ihre Hände von den seinen, und dies bedeutete wohl, daß der Zauber gesprochen war. »Was hast du gesehen?« fragte sie gespannt.
    »Arni«, sagte Lauscher, aber er verschwieg, daß Arni gelacht hatte.
    »Das ist gut«, sagte Narzia und stand auf. »Lege den Stein auf die Schale zurück! Die beiden Figuren wirst du mitnehmen. Ich werde dir ein Hemd geben, dessen weite Ärmel am Ende mit einem Bund abgeschlossen sind. In diesen Ärmeln wirst du die Figuren bei dir tragen, eine rechts und eine links, aber merke dir gut, auf welcher Seite die weiße versteckt ist und auf welcher die grüne. Wenn ihr vor dem Spiel die Farben ausgelost habt, kommt es nur noch darauf an, daß du Arnis Dame mit jener aus Hunlis Spiel vertauschst. In Wirklichkeit wird es dann Arni sein, der gegen den Khan spielt, und deine Hand wird nur die Züge ausführen, die er dir befiehlt. Vergiß aber nicht, danach die richtige Dame wieder zurückzubringen!«
    Als er die Figuren an sich genommen hatte, wischte sie mit einem Tuch das blutige Fünfeck von der Tischplatte ab. »Morgen wirst du reiten«, sagte sie dann. »Komm her, damit ich die Wunde an deinem Arm verbinden kann!«
    Lauscher hatte den Schnitt überhaupt nicht mehr beachtet, ließ es sich aber gern gefallen, daß Narzia das stockende Blut mit einem Leinenbausch abtupfte, ein würzig riechendes grünes Blatt auf die Wunde legte und dann eine schmale Binde um den Arm wickelte. »Tut’s weh?« fragte sie lächelnd. Lauscher schüttelte den Kopf und bedankte sich für ihre Fürsorge. »Gibt es etwas in den Zelten der Beutereiter, das ich dir mitbringen soll?« fragte er.
    Narzia bedachte sich einen Augenblick und sagte dann: »Einen einzigen Gegenstand weiß ich dort, den ich gern besäße. Es ist ein fein gewebter Seidenteppich, dessen Randborte einen Zug von Falkenreitern darstellt, rot auf grünem Grund. Er hängt über Hunlis Thronkissen an der Zeltwand und zählt zu seinen kostbarsten Besitztümern. Den solltest du mir bringen.«
    Lauscher erschrak, als er hörte, welchen Wert der Khan diesem Teppich beimaß, aber er versprach, daß er versuchen wolle, diesen Teppich an sich zu bringen. »Dann wünsche ich dir eine angenehme Reise«, sagte sie und küßte ihn mit einer unvermutet raschen Bewegung auf die Wange, so als wolle sie vermeiden, daß er sie in seinen Armen festhielt, und im nächsten Augenblick hatte sie den Raum schon verlassen.
    Diesmal brauchte er wenigstens nicht allein zu reiten; denn er hätte schwerlich ohne Hilfe zwölf Pferde vor sich hertreiben können. Höni hatte ihm vier berittene Männer mitgegeben, von denen jeder drei Pferde am Halfter führte, zähe, niedrig gebaute Steppenpferde, wie sie von den Beutereitern bevorzugt wurden. Diese ehemaligen Beutereiter würden wohl auch wissen, wo sie das Lager des Khans suchen mußten. Einer von ihnen namens Blörri ritt voran, nachdem Lauscher ihm gesagt hatte, daß er keine Erfahrung darin habe, in der Steppe seinen Weg zu suchen. Lauscher war es nach wie

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